Das Land zwischen den Meeren
unvergleichlichen Abend erleben. Der noch lange nicht zu Ende ist. Folgen Sie mir bitte in den Salon. Es werden frische Getränke und Gebäck nach Rezepten aus der schwedischen Heimat unseres Gastes gereicht.«
Von allen Seiten waren Äußerungen der Begeisterung zu hören. Alle waren überzeugt, ein Wunder erlebt zu haben. Hermann Fassbender tauchte plötzlich in Begleitung eines mittelgroßen, schlanken, etwa vierzigjährigen Mannes auf. Er hatte kurzes dunkles Haar und trug einen sorgfältig gebürsteten Kinnbart. Die Gräfin näherte sich den beiden Männern mit aufgeregten Schritten.
»Mein lieber Doktor, wie geht es unserer Freundin? Ich habe vorhin gar nicht bemerkt, dass sie ohnmächtig wurde. Wie mir soeben einer unserer Diener mitteilte, hat man sie in die Bibliothek gebracht.«
»Nur eine kleine Unpässlichkeit«, beruhigte Hermann Fassbender die Gräfin. »Die Aufregung war offenbar zu viel für sie. Außerdem hat sie ein schwaches Herz. Doch dank meines schnellen Eingreifens und der tatkräftigen Unterstützung von Herrn Lommertzheim geht es ihr schon viel besser. Sie ist bereits wieder wohlauf.«
Der soeben Erwähnte verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Er zückte ein Taschentuch und wischte sich über die Stirn. »Als Apotheker hat man natürlich immer ein Mittelchen für den Notfall dabei …«
Dorothea, die die Unterredung mit halbem Ohr verfolgt hatte, wollte sich unbemerkt in die entgegengesetzte Ecke des Salons begeben, bevor ihr Vater auf den Gedanken kam, sie mit seinem Begleiter bekannt zu machen. Die meisten jüngeren Frauen hätten ihn wohl als gut aussehenden Mann in den besten Jahren bezeichnet. Und die älteren vermutlich als Idealtypus eines Schwiegersohnes. Allerdings wirkte die Haltung des Fremden, die Art, wie er gestikulierte und mit weit gespreizten Fingern seine Brille gerade rückte, nach Dorotheas Gefühl eher unsympathisch. Doch da rief der Vater auch schon hinter ihr her.
»Dorothea, ich möchte dir jemanden vorstellen. Wo ist denn deine Mutter?«
Notgedrungen machte sie kehrt und hoffte, der Unbekannte möge ein glücklicher Ehemann und mehrfacher Vater sein. Sie gab ihrer Mutter ein Zeichen, die gerade auf der Suche nach einem frischen Glas Champagner war.
»Meine Lieben, das ist Herr Lommertzheim, der Apotheker aus der Glockengasse. Wir haben gerade gemeinsam einen Menschen aus dem Zustand der Bewusstlosigkeit ins Leben zurückbefördert. Meine Frau … meine Tochter.«
Dorothea schüttelte die schwitzige Hand und wischte sie unauffällig hinter dem Rücken am Kleid ab. Der Apotheker ließ seine Blicke zwischen ihr und der Mutter hin- und herwandern, schlug die Hacken zusammen und vollführte eine elegante Verbeugung. »Wirklich erstaunlich, lieber Doktor. Ich hatte vielmehr vermutet, bei Ihren reizenden Begleiterinnen handele es sich um Schwestern.«
Sibylla Fassbender schlug den Fächer auf und lächelte kokett. »Sie Schmeichler … Ach, ist das nicht ein wunderbarer Abend? Wie bedauerlich, dass eine Zuhörerin schwächelte und diesem Ohrenschmaus nicht bis zum Ende beiwohnen konnte. Sagen Sie, Herr Lommertzheim, wie hat es eigentlich Ihrer Frau gefallen? Sie ist doch sicher heute Abend mitgekommen.«
»Meine Frau … äh … nein … also, ich bin nicht verheiratet. Ich suche immer noch die Richtige.«
»Ach so, ich verstehe. Bitte verzeihen Sie.«
Dorothea bemerkte ein Glitzern in den Augen der Mutter, das ihr gar nicht gefiel. Diese schenkte ihrem Gegenüber ihr strahlendstes Lächeln.
»Sie sind also Apotheker … welch aufregender Beruf. Und vor allem krisensicher. Kranke, die Arznei benötigen, gibt es schließlich immer. Unsere Tochter vertreibt sich ihre Zeit als Hauslehrerin bei Notar Rodenkirchen. Natürlich hätte sie das überhaupt nicht nötig, aber Sie wissen ja, wie die jungen Mädchen heutzutage sind. Immerzu wollen sie ihren eigenen Kopf durchsetzen.«
Der Apotheker hob in gespieltem Ernst den Zeigefinger und schüttelte tadelnd den Kopf. Im selben Moment verspürte Dorothea einen heftigen Stoß zwischen den Rippen. Sie brauchte nicht aufzuschauen, um zu wissen, dass ihre Mutter sie auf diese Weise zu besonderer Freundlichkeit ermahnen wollte. Sibylla Fassbender hakte sich bei ihrem Mann unter und zog ihn übereilt mit sich fort. »Ich habe dort hinten unseren ehemaligen Pfarrer gesehen. Wir sollten ihm guten Tag sagen. Wenn Sie uns für einen Augenblick entschuldigen wollen, Herr Apotheker.«
Peter Lommertzheim zog erneut das
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