Das Land zwischen den Meeren
Taschentuch hervor und tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn. »Ja, ja, die jungen Mädchen heutzutage. Aber wenn sie erst einmal unter der Haube sind und die gestrenge Hand eines Ehemannes kennengelernt haben, werden sie sanft wie die Lämmchen.« Dabei lachte er laut auf, als hätte er einen guten Witz gemacht.
Dorothea stand mit eisiger Miene daneben und hoffte, ihr Gegenüber möge irgendwo unter den Gästen eine willigere Gesprächspartnerin entdecken.
»Das Fräulein Dorothea ist also Hauslehrerin und liebt Kinder … wie reizend.«
»Ich liebe besonders die Malerei. Sie müssen wissen, ich bin nämlich auch Zeichenlehrerin.« Dorothea wunderte sich selbst, woher sie den Mut zu einer solch kecken Antwort genommen hatte. Aber sie wollte dem Apotheker von Anfang an zu verstehen geben, dass sie auf gar keinen Fall die Frau war, die er suchte. Falls er tatsächlich auf Freiersfüßen wandelte.
»Mir geht es ebenso.« Peter Lommertzheim vertiefte sich in den Anblick von Dorotheas Opalbrosche, die sie oberhalb ihres Busens angesteckt hatte. »Vielleicht hätte das Fräulein ja Lust, mich einmal ins Museum zu begleiten. Da können wir ganz in Ruhe miteinander – fachsimpeln.«
Dorothea holte tief Luft, zwang sich zu einer maßvollen Antwort. »Das wäre sicherlich äußerst interessant, mein Herr. Leider lässt mein Beruf solche Vergnügungsausflüge nicht zu. Die Unterrichtsstunden für meine halbwüchsigen Schützlinge wollen sorgfältig vorbereitet sein.«
Zu ihrer Erleichterung ertönte plötzlich die Stimme des Grafen. »Ich bitte die Herren, mir ins Raucherzimmer zu folgen, und die Damen wenden sich an meine liebenswerte Gemahlin.«
Im Fortgehen sah Dorothea gerade noch, wie ihre Mutter ihrem Gatten etwas ins Ohr flüsterte. Die Gräfin schritt voraus ins Damenzimmer, wo Dienstmädchen mit blütenweißen gestärkten Schürzen und Hauben die weiblichen Gäste mit Kaffee, schwedischen Haferkeksen und Sanddornlikör verwöhnten. Dorothea war heilfroh, der angestrengten Unterredung mit dem Apotheker entronnen zu sein.
Ihre Mutter saß umringt von angeregt plaudernden, blass gepuderten, in viel zu enge Mieder gezwängten Ehefrauen honoriger Kölner Bürger, sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die man ihr entgegenbrachte, der Ehefrau des angesehensten Arztes der Stadt. Sibylla Fassbender thronte gleichsam auf ihrem Armlehnsessel. Groß, schlank und dunkelhaarig, mit einem ebenmäßigen, dunklen Teint, einer markanten Nase und hohen Wangenknochen. Eine Schönheit zweifellos. Und Dorothea fragte sich nicht zum ersten Mal, warum sie kaum Ähnlichkeit mit ihrer Mutter hatte, sondern eher dem Vater glich.
Nachdem die Droschke die Fassbenders zu Hause abgesetzt hatte und sie wieder unter sich waren, legte die Mutter mit leisem Druck eine Hand auf Dorotheas Arm. »Ich glaube, man darf dir gratulieren. Du hast heute Abend Eindruck hinterlassen.«
Dorothea presste die Lippen aufeinander und suchte den Blick ihres Vaters, der sich aber bereits hinter einem Fachbuch verschanzt hatte. »Dein Vater und ich halten Herrn Lommertzheim für einen gebildeten und wirklich reizenden Mann. Er ist zwar um einiges älter als du, aber seine Erfahrenheit wird sicher zum Vorteil sein. Wir werden ihn demnächst zum Abendessen bei uns einladen.«
März 1848
Dorothea ließ die kunstvoll geschnitzte Eingangstür mit den schweren Messingbeschlägen hinter sich ins Schloss fallen und atmete in tiefen Zügen die Frühlingsluft ein. Nach einem langen Arbeitstag freute sie sich auf die unmittelbar bevorstehende Begegnung. Sie wollte sich mit Alexander im gleichen Café am Dom treffen, in dem sich ein halbes Jahr zuvor ihre Hände zum ersten Mal unter dem Tisch berührt hatten. Anfangs zufällig, später absichtlich. Als er ihr von seiner Arbeit in der Redaktion erzählt hatte und sie ihm gar nicht richtig hatte zuhören können, weil der Blick seiner warmen braunen Augen ein unbekanntes Vibrieren in ihr ausgelöst hatte. Als sie den glühenden Wunsch verspürt hatte, seine widerspenstigen Locken mit ihren Händen zu glätten und ihre Lippen auf die seinen zu pressen.
Der Zeitpunkt hätte nicht günstiger sein können. Ihre Mutter war in ihrer Funktion als Vorsitzende des Wohltätigkeitsverbandes mit einigen Frauen aus der Gemeinde zu einer Wallfahrt nach Kevelaer aufgebrochen. Und der Vater hatte Dorothea am Morgen mitgeteilt, er werde nach der Sprechstunde noch Krankenbesuche machen. Sie solle mit dem Abendessen nicht auf ihn
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