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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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meinst, weil ich vorher nicht aufgeräumt habe … Nun, ich hoffe, du siehst großzügig über eine gewisse Unordnung hinweg.«
    Die Studenten waren mittlerweile murrend weitergegangen, und Alexander reichte Dorothea den Arm. »Darf ich bitten, mein Fräulein? Es geht nur um die Ecke herum, in die Gereonstraße.«
    Dorothea blieb unschlüssig stehen. Nur allzu gern wäre sie ihm gefolgt, obwohl sie wusste, sie würde damit gegen jeglichen Anstand verstoßen. Bisher hatten sie sich immer nur in der Öffentlichkeit gesehen. Zum ersten Mal wären sie allein, von niemandem beobachtet und gänzlich ungestört. Sie fühlte ihr Herz rasen, wünschte sich nichts sehnlicher, als seine kräftigen Arme um ihre Taille und seine Bartstoppeln auf ihrer Wange zu spüren. Doch gleichzeitig fürchtete sie sich davor. »Aber … wenn uns jemand von den anderen Mietern im Treppenhaus sieht?«
    »Die alte Dame in der ersten Etage ist zu ihrer Tochter nach Bonn gefahren, und der ehemalige Nachtwächter aus dem zweiten Stock ist über einen Bordstein gestürzt und hat sich beide Arme gebrochen. Der Pechvogel liegt im Hospital. Und die Vermieter im Erdgeschoss sind auf einer Geburtstagsfeier. Dorothea, Liebste, gib mir keinen Korb und komm mit! Ich wollte dir schon immer einmal meine kleine Wohnung zeigen. Damit du endlich weißt, wo ich oft bis spät in die Nacht am Schreibtisch sitze und manchmal nicht vernünftig arbeiten kann, weil ich immer nur an dich denken muss. Außerdem …« Seine Stimme bekam einen geheimnisvollen Klang. »Außerdem habe ich noch eine Überraschung für dich.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er nach ihrem Arm und hakte sie bei sich unter. Wie im Traum ging Dorothea neben ihm her, unschlüssig, ob sie doch noch davonlaufen sollte. Aber nein, sie wollte endlich sein Zuhause kennenlernen und dabei mehr über ihren zukünftigen Ehemann erfahren. Sie würde die Regeln der Schicklichkeit schon zu wahren wissen.
    Vor einem Haus, von dessen Fassade bräunlicher Putz abbröckelte, blieben sie stehen. Vorsichtig und so leise wie möglich schloss Alexander die Haustür auf. Sie traten in einen langen, schmalen Flur, in dem der Geruch von Bohneneintopf und ranzigem Fett hing. Alexander wies auf eine morsche Holztreppe und bedeutete Dorothea mit einer Geste, ihm zu folgen. Auf Zehenspitzen schlichen sie durch den Gang.
    »Herr Weinsberg, sind Sie es?«, erklang plötzlich eine zittrige, hohe Stimme. Dorothea presste sich mit dem Rücken gegen die Wand, spürte die rauen, unverputzten Steine unter den Händen, wagte kaum zu atmen. Auf der rechten Seite hatte sich eine Tür geöffnet. Im Rahmen stand eine klein gewachsene, spindeldürre Frau. Das schüttere graue Haar war nur unzureichend von einer altmodischen, schief sitzenden Haube bedeckt.
    »Guten Tag, Frau Lyskirchen. Ja, ich bin’s. So früh schon wieder zurück? Haben Sie sich auf der Geburtstagsfeier gut unterhalten?« Er wandte sich an Dorothea und nickte ihr beruhigend zu. Sie zitterte am ganzen Körper, starrte verzweifelt zur Haustür und wäre am liebsten davongelaufen. Doch ihre Beine waren wie gelähmt.
    »Hören Sie mir bloß auf mit der Feier … Als wir um drei Uhr ankamen, da hatte mein Schwager wohl schon einige Schnäpse zu viel getrunken. Jedenfalls hat er gleich einen Streit mit meinem Mann vom Zaun gebrochen. Erst hat er einen Stuhl aus dem Fenster geworfen, dann herumgepöbelt und uns anschließend vor die Tür gesetzt. Also, der alte Suffkopf wird uns so schnell nicht wiedersehen … Aber sagen Sie, Herr Weinsberg, mir war so, als hätte ich außer Ihnen noch jemanden im Flur gehört.«
    Dorothea fürchtete, jeden Moment ohnmächtig niederzusinken. Alexander zwinkerte ihr aufmunternd zu.
    »Ihr Gehör ist wie immer hervorragend, Frau Lyskirchen. Darf ich Sie mit meiner Tante bekanntmachen? Sie ist gestern aus Paris gekommen und möchte unbedingt die Mappe mit allen meinen Zeitungsartikeln sehen.« Er winkte Dorothea zu sich heran. Schwerfällig und wie betäubt folgte sie seiner Aufforderung. Welches Spiel trieb Alexander hier mit ihr? Die Hauswirtin streckte den Kopf vor und blinzelte Dorothea aus trüben Augen an.
    »Aus Paris … Ja, das sieht man doch gleich. Dieses elegante grüne Kostüm mit der Pelzstola … Aber dass Ihre Tante in hohem Alter noch eine so weite Reise unternimmt …« Sie musterte Dorothea, die ihren dunkelblauen Mantel glatt strich, mit unsicherem Blick. »Wie lange werden Sie denn in Deutschland bleiben … Ach, sie

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