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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Köchin!«
    Die erwähnte Vorgängerin hatte nach fünfundzwanzig Jahren zuverlässiger und treuer Dienste im Hause Fassbender aus Altersgründen aufgehört, um im Haus ihrer Schwester im Bergischen Land den wohlverdienten Ruhestand zu genießen. Greta war etwa fünfzig Jahre alt, eine unscheinbar und reizlos wirkende Frau. Aber gerade das hatte Sibylla Fassbender für sie eingenommen, weitaus mehr als ihre Referenzen. Dienstmädchen durften grundsätzlich nicht jünger und hübscher sein als die Hausherrin oder deren Töchter. Eine Ansicht, die sie mit vielen Freundinnen teilte. Folglich warf der Hausherr den Bediensteten auch keine begehrlichen Blicke hinterher, und sie wurden nur in Ausnahmefällen weggeheiratet. Denn wo fand man heutzutage noch zuverlässiges Personal?
    Greta knickste und verschwand wortlos in der Küche. Sibylla Fassbender trat einige Schritte vom Tisch zurück und blickte zufrieden auf die gedeckte Tafel, die weder zu überladen noch zu schlicht wirkte. Mit dezentem Blumenschmuck in ihrer Lieblingsfarbe Gelb. In Auftrag gegeben beim besten Blumenhändler der Stadt. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, das Porzellan aufzudecken, das sie von ihrer Großtante geerbt hatte. Ein Meißener Service von 1775 mit blauer Bemalung aus Blüten, Früchten und Zwiebeln. Das Silberbesteck trug die Initialen ihrer Jugend, als sie mit Nachnamen noch Grieshaber geheißen und mit ihrer Familie in einem winzigen Dorf am Bodensee gelebt hatte.
    Vater und Großvater waren Gastwirte gewesen. Alle Freundinnen und Verwandten hatten ihr eine Zukunft als Wirtsfrau, Bäcker- oder Metzgersgattin vorausgesagt. Während sie insgeheim davon geträumt hatte, in einem großen Haus mitten in der Stadt zu leben – mit einem Garten und mit Dienstboten. Statt Holztische zu schrubben, Dielen zu kehren und sich der aufdringlichen Hände angetrunkener Gäste zu erwehren. In diesem engen kleinen Dorf, wo sie immer auf dieselben Menschen traf und wo sich außer dem Wetter nie etwas änderte.
    Und dann war eines Tages ein Fremder in den Gasthof zur Postgekommen, ein junger Arzt aus Köln. Er hatte einen schwer erkrankten Studienfreund besucht und wollte im Anschluss daran einige Tage Erholung in gesunder Luft genießen. Bereits am ersten Abend hatten sie lange, tiefe Blicke ausgetauscht. Als sie ihm einen Zwiebelrostbraten mit Spätzle serviert und dabei vor Aufregung sein volles Weinglas umgestoßen hatte. Er hatte lachend seine Hose trocken gewischt und ihr zugeflüstert, noch nie habe er ein schöneres Mädchen gesehen. Bei der Abreise hatte er ihr einen Antrag gemacht. Sibylla seufzte, ihre Augen schimmerten feucht, als sie an damals dachte …
    »Gnädige Frau, die Köchin lässt fragen, ob die Suppe vor oder nach dem Salat serviert werden soll.« Greta stand im Türrahmen und knetete verlegen ein Küchentuch zwischen den Händen.
    »Ja, ist das denn zu fassen? Immer erst die kalte Vorspeise vor der Suppe! Danach das Hauptgericht und zum Schluss das Dessert. Das sollten Sie eigentlich wissen. Schließlich sind Sie angeblich doch schon seit Jahrzehnten in Stellung.«
    Das Dienstmädchen schlurfte in die Küche, und Sibylla Fassbender bereute fast, nicht doch die junge Französin eingestellt zu haben, die einen wesentlich kompetenteren Eindruck gemacht hatte als Greta. Ihr Blick glitt hinüber zur Standuhr. Schon halb sechs. Dorothea würde doch nicht ausgerechnet an diesem wichtigen Tag zu spät nach Hause kommen?
    Sibylla verlor sich wieder in der Vergangenheit. Schon als kleines Mädchen hatte sie von einem Prinzen mit Geld, Ansehen und vornehmen Manieren geträumt. Von einem Mann, der sie in die große Stadt entführen und ihr ein sorgenfreies Leben bieten würde. Den sie aber niemals in ihrem Heimatdorf gefunden hätte. Weswegen sie den Antrag des jungen Arztes angenommen hatte und ihm nach Köln gefolgt war.
    »Wer zu hoch hinauswill, stößt gewöhnlich oben an!«, hatten die Dörfler ihr bei der Abreise hämisch nachgerufen und sie laut ausgepfiffen.
    Sie lachte kurz auf und verzog schmerzlich den Mund, als sie daran dachte, wie verliebt sie beide am Anfang ihrer Ehe gewesen waren. Ihr Mann hatte sie begehrt. Sie selbst hatte sich ebenfalls begehrenswert gefühlt und ungeniert die zahlreichen Stunden leidenschaftlicher Zweisamkeit ausgekostet. Jeden Wunsch hatte er ihr von den Lippen abgelesen. Hermann war ehrgeizig und tüchtig, und er verdiente gut. Sehr gut sogar. Er verstand es, mit Patienten umzugehen. Ihre Beschwerden

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