Das Land zwischen den Meeren
entgegen. Sie setzte ein strahlendes Lächeln auf und heuchelte Überraschung. »Vielen Dank. Wie aufmerksam. Sie haben übrigens auch meine Lieblingsfarbe erraten.« Über die Schulter des Gastes hinweg konnte sie beobachten, wie ihre Mutter erleichtert nickte.
Peter Lommertzheim wandte sich dem Hausherrn zu, schlug die Hacken zusammen und verneigte sich leicht. »Angesichts so viel zauberhafter Weiblichkeit im Haus, lieber Doktor, sind Sie wahrlich zu beneiden.«
Hermann Fassbender nickte flüchtig und ging ins Speisezimmer voraus. »Wir haben für Sie den Stuhl am Kopfende der Tafel reserviert. Von dort haben Sie den besten Ausblick auf den Wintergarten.«
Nachdem alle Platz genommen hatten, trug Greta den Salat auf. Der angespannten Haltung ihrer Mutter konnte Dorothea entnehmen, dass sie einen Fauxpas erwartete, doch das neue Dienstmädchen erledigte die Arbeit geräuschlos und fehlerfrei. Hermann Fassbender schenkte einen würzig frischen Rheinwein ein und prostete seiner Frau und dem Gast zu, während Dorothea mit Wasser vorliebnahm.
»Auf Ihr Wohl. Sie waren also in Italien, lieber Lommertzheim? Sind Sie den Spuren unseres verehrten Geheimrates von Goethe gefolgt, oder wollten Sie die römische Antike aus eigener Anschauung kennenlernen?«
Der Apotheker balancierte mehrere Salatblätter gleichzeitig auf der Gabel und schob sie in den Mund.
»Nun, ich war dort – zur Kur. Sie wissen ja, als Mann muss man ab einem gewissen Alter besonders auf die Gesundheit achtgeben. Ich habe Thermalbäder genommen und mir jeden zweiten Tag eine Packung mit Heilerde verabreichen lassen. Und ich sage Ihnen, mein Rücken fühlt sich seither an, als sei er keinen Tag älter als zwanzig.« Er nahm einen kräftigen Schluck von dem Wein, kaute andächtig darauf herum und schluckte ihn dann gurgelnd hinunter. »Köstlich, dieser Wein. Ein Bopparder Hamm Rivaner, vermute ich. Ja, ja, die Italiener mögen zwar den Rebenanbau seit Urzeiten betreiben, aber trotzdem ziehe ich unsere deutschen Weine vor.«
Dorothea stocherte in ihrem Salat herum. Sie verspürte nur wenig Appetit, zwang sich jedoch, die Hälfte des Tellers leer zu essen, um unliebsamen Fragen der Mutter zu entgehen. Diese kam ihr heute betont redselig und aufgekratzt vor. Sie umschmeichelte den Apotheker mit Komplimenten und Aufmerksamkeit, als wolle sie sich selbst ins beste Licht rücken.
»Mein lieber Herr Lommertzheim, für den nächsten Gang habe ich eine Kastaniensuppe gewählt. Nach einem Rezept meiner verstorbenen Schwiegermutter. Ich hoffe, die Köchin hat sich genau an die Zutatenliste gehalten. Beim letzten Mal war das Gericht leider versalzen.«
»Na, na, in wen die Köchin da wohl verliebt war?«, scherzte der Apotheker und zwinkerte Dorothea über den Brillenrand hinweg zu, bevor er die Suppe kostete. »Hm, ganz vorzüglich. Wissen Sie, als Junggeselle ist man derartige Culinaria überhaupt nicht gewöhnt. Außerdem schmeckt es in Gesellschaft doch am besten. So aber sitze ich Abend für Abend allein zu Hause und esse meist nur ein Stück Käse oder einen Kanten Brot. Aber am Sonntag geht es ins Wirtshaus. Ich bestelle immer rheinischen Sauerbraten. Da kann man nicht viel falsch machen. Es sei denn, der Gaul war zu alt.«
Dorothea dachte daran, dass sie und Alexander künftig ganz andersartige Speisen kennenlernen würden, Köstlichkeiten mit süßen Früchten und unbekannten Gewürzen. Sie wollte für ihn alle seine Lieblingsgerichte kochen. »Verzeihung, was meinten Sie gerade?«, fragte sie schuldbewusst und schalt sich, nicht aufmerksamer zugehört zu haben.
»Ich wollte wissen, ob das Fräulein Dorothea ebenfalls die deftige rheinische Küche mag.« Mit gespreizten Fingern rückte der Apotheker die Brille gerade und nickte erfreut, als Hermann Fassbender das Weinglas ein weiteres Mal füllte.
Dorothea ärgerte sich über die Angewohnheit des Gastes, sie nie direkt anzusprechen, sondern von ihr in der dritten Person zu sprechen. Sie ahmte seine Ausdrucksweise und seinen näselnden Tonfall nach. »Offen gestanden, das Fräulein Dorothea bevorzugt eine Küche, die weder den Magen schwer noch die Hüften breit macht. Das Fräulein mag keinen Sauerbraten und isst grundsätzlich kein Pferdefleisch. Nicht jedes Tier, das Gott geschaffen hat, gehört notwendigerweise in den Kochtopf.«
Blitzschnell zog Dorothea die Beine zur Seite und entging so der mütterlichen Stiefelspitze unter dem Tisch. Dem vorwurfsvollen Blick des Vaters begegnete sie mit
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