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Das Land zwischen den Meeren

Das Land zwischen den Meeren

Titel: Das Land zwischen den Meeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Paredes
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Ereignisse die Zustellung verzögere. Was jedoch kein Grund zur Beunruhigung sei.
    Trübsinnig machte sich Dorothea auf den Weg zum Rheinufer. Das fragliche Haus lag in einer engen Seitenstraße mit Hausfassaden, die kaum breiter waren als ein Betttuch. Sie durchschritt einen Hinterhof, in dem eine Horde schmächtiger Jungen laut grölend gegen ein kohlkopfgroßes Lederknäuel trat. Ein kleines Mädchen in schmutziger, zerschlissener Kleidung stand abseits auf einer Holzbank und verfolgte das Spiel, während es gedankenverloren in der Nase bohrte. Aus einem der offen stehenden Fenster drang der penetrante Geruch von Zwiebeln und verbranntem Speck.
    Den Weg ins Souterrain kannte Dorothea bereits vom Vortag, vorbei an alten Holzfässern, Stühlen und aufeinandergestapelten Kisten. Apollonia Westermann, Hebamme stand in ungelenker Schrift auf einem Schild an der Tür. Dorothea zögerte. Sie wusste nicht, was sie erwartete. Konnte nicht einmal sagen, welche Mitteilung sie erhoffte. Auf der einen Seite wünschte sie, sich getäuscht zu haben und nicht schwanger zu sein. Das würde die monatelange Überfahrt und die erste Zeit in dem unbekannten Land erleichtern. Auf der anderen Seite wünschte sie sich, neues Leben in sich zu tragen. Alexanders Leben, vereinigt mit dem ihren als sichtbares Zeichen ihrer gegenseitigen Liebe.
    Schließlich gab sie sich einen Ruck und klopfte an die Tür. Es dauerte eine Weile, bis von drinnen Schritte zu hören waren. Eine große hagere Frau mittleren Alters öffnete. Sie trug eine graue Schürze über dem Kleid und eine schon aus der Mode gekommene Rüschenhaube. Mit den hervorquellenden Augen und den zusammengekniffenen schmalen Lippen erinnerte ihr Gesicht an den Kopf einer Schildkröte.
    »Sie wollen zu mir, Frolleinchen?« Doch dies klang weniger wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung.
    Dorothea nickte. »Wenn Sie Frau Westermann sind.«
    »Höchstpersönlich. Sehen Sie sich aber nicht um. Ich war den ganzen Tag unterwegs und bin noch nicht zum Aufräumen gekommen.«
    In dem winzigen Zimmer herrschte ein heilloses Durcheinander. Auf dem Tisch stand eine offene Flasche Wein, daneben ein Teller mit einem angebissenen Stück Käse und einer Scheibe Brot. Wäschestücke waren auf den fleckigen Holzdielen verteilt, Schuhe, alte Zeitungen, ein Paar Strümpfe und ein verbeulter Nachttopf. Eine rot-weiß gestromte Katze lag zusammengerollt auf einem verblichenen Sessel, blinzelte nur kurz und döste dann weiter. Im Zimmer roch es feucht und muffig, an einigen Stellen löste sich die ockerfarbene Tapete. Durch ein schmales Fenster fiel spärliches Tageslicht herein.
    »Mit Ihrer Figur sehen Sie nicht danach aus, als täten Sie kurz vor der Niederkunft stehen. Sie wollen vermutlich wissen, ob Sie schwanger sind.«
    Dorothea nickte wortlos, sie fühlte sich unbehaglich in dem dunklen, modrigen Zimmer. Mit einem Mal war sie sich unsicher und überlegte, ob sie nicht unter irgendeinem Vorwand wieder gehen sollte.
    »Sie können sich da hinten frei machen.« Die Hebamme deutete auf einen Paravent, hinter den Dorothea sich zögernd zurückzog. Sie legte Mantel und Hut ab, wagte nicht zu fragen, ob sie noch mehr ausziehen sollte.
    »Und jetzt hierher aufs Kanapee, wenn ich bitten darf. Beeilen Sie sich, ich kann jeden Moment zu einer Steißlage gerufen werden.« Unsicher trat Dorothea hinter dem Paravent hervor und legte sich auf ein braunes Sofa.
    »Nun mal nicht so schüchtern, Frolleinchen! Wir sind schließlich unter uns Pastorentöchtern. Also, wann war die letzte Monatsblutung?« Sie zog Dorothea das Kleid bis über die Taille hoch und schob die Hand unter das Mieder.
    Als sie spürte, wie kalte Finger ihren Unterleib abtasteten, hielt Dorothea den Atem an. »Ende Februar.«
    »Aha. Und wie geht es Ihnen so?«
    »Seit einigen Tagen ist mir morgens immer übel. Heute musste ich mich sogar übergeben. Manchmal bin ich auch müde, und mir wird schwindelig …« Dorothea war erleichtert, als die Hebamme ihre kalten Hände zurückzog.
    »So, so, und jetzt kommen Sie also zu mir, um Ihren Fehltritt ungeschehen zu machen.« Die Hebamme blickte streng auf Dorothea herab, schien sie mit ihren stechenden Augen durchbohren zu wollen.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ach Gott, das Unschuldslämmchen versteht nicht …« Die Hebamme verzog den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Aber an die unbefleckte Empfängnis durch den Heiligen Geist glauben Sie wohl nicht mehr, oder?«
    Erst jetzt begriff Dorothea

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