Das Land zwischen den Meeren
und sie spürte Übelkeit in sich aufsteigen, musste plötzlich würgen. Sollte sie etwa zum Hafen gehen und … zur Dirne werden? Wie konnte es überhaupt Frauen geben, die zu so etwas fähig waren? Ihren Körper zu verkaufen, sich Wildfremden hinzugeben … Aber worüber dachte sie da überhaupt nach?
Wie schnell hatte sich ihr Leben verändert, innerhalb weniger Wochen! Und jetzt war sie, die behütete Tochter aus gutem Hause, mit einem Mal ganz weit unten angekommen. Dorothea knotete ihr Schultertuch enger und lief los. Ohne nachzudenken, lenkte sie ihre Schritte in die Katharinenkirche. Dort betete sie zur Gottesmutter, sie möge ihr ein Zeichen geben, damit sie die richtige Entscheidung traf.
Der Portier vom Hotel Kaiserhof schüttelte bedauernd den Kopf. »Tut mir leid, junges Fräulein, Herr Jensen hat am frühen Nachmittag das Hotel verlassen und nicht erwähnt, wann er zurückkommt. Soll ich ihm etwas ausrichten? Sie können ihm auch eine Nachricht hinterlassen. Ich lege sie dann in sein Fach.«
»Nein, nein, vielen Dank …«, stammelte Dorothea und hastete durch das Foyer ins Freie. Also würde sie den Kaufmann an diesem Tag nicht mehr sprechen können. Und womöglich war der letzte freie Platz auf dem Schiff auch schon vergeben. War die Auskunft des Portiers das erbetene Zeichen des Himmels? Sollte sie alle Hoffnung begraben, jemals in Costa Rica anzukommen? Oder sollte diese neuerliche Hürde sie nur anstacheln, nun erst recht nicht aufzugeben?
Während sie ihren Gedanken nachhing und ihre Schritte zum Hafen lenkte, sah sie ein höchst ungleiches Paar aus einem der schäbigen Häuser in der Görttwiete kommen, deren Fensterläden auch am Tag geschlossen waren. Der Mann in eleganter und gepflegter Kleidung, einen Zylinder auf dem grauen Haarschopf. An seinem Arm trippelte eine rundliche kleine Frau in einem dunkelgrünen Kleid, dessen tiefer Ausschnitt Dorothea keineswegs für einen Stadtbummel am helllichten Tag geeignet schien.
Zu ihrem Entsetzen erkannte sie erst jetzt, dass es Erik Jensen mit einer Unbekannten war. Doch es war zu spät, die Straßenseite zu wechseln oder umzukehren, denn der Kaufmann hatte Dorothea bereits bemerkt.
»Fräulein Fassbender, welch ein Zufall, uns hier und heute zu treffen!«
Dorothea errötete unter dem herablassenden Blick der Frau, die ihre rosige kleine Hand besitzergreifend auf den Arm ihres Begleiters legte. »Guten Tag, Herr Jensen. Ich … ich war vorhin im Hotel Kaiserhof. Aber ich habe Sie nicht angetroffen.« Dorothea stammelte und hatte Mühe, ihr Unbehagen zu verbergen. Diese Frau musste eine jener Personen sein, die ihren Körper verkauften, wurde ihr unvermittelt klar. Und ausgerechnet in einer solch prekären Situation lief sie dem Kaufmann über den Weg.
Doch Jensen gab sich völlig ungezwungen und schien sich nicht im Geringsten zu genieren. »Sie wollten mich sprechen? Dann sollte ich mich wohl geschmeichelt fühlen.«
»Aber Katerchen, du hast mir doch versprochen, mich zum Essen auszuführen!« Die Frau machte einen Schmollmund und zupfte Jensen am Ärmel.
Der Kaufmann tätschelte ihr die Hand. »Später. Nicht so ungeduldig, Mausi … Nun, Fräulein Fassbender, was wollten Sie mir mitteilen? Etwas Wichtiges?«
Dorothea verspürte den dringenden Wunsch, möglichst weit wegzulaufen. Konnte sie jemandem vertrauen, der sich nach außen als seriöser Geschäftsmann gab, aber mit einer … einer Liebesdienerin durch die Stadt flanierte? Sie kannte ihn doch gar nicht. Vielleicht war er ein Unhold, ein Betrüger oder Blender. Und einem solchen Menschen wollte sie sich auf Gedeih und Verderb ausliefern? Sie bekämpfte das Zittern ihrer Unterlippe und heftete den Blick auf die Rose, die Jensen im Knopfloch seines Gehrockes trug. »Ich habe es mir überlegt, Herr Jensen. Ich nehme Ihr Angebot an. Allerdings … auf dem Schiff ist nur noch ein einziger Platz frei.«
»Komm, Katerchen, lass uns endlich in das Restaurant gehen, von dem du mir erzählt hast! Das mit den goldenen Spiegeln und den orientalischen Teppichen.« Die Frau warf Jensen ein schmeichlerisches Lächeln zu. Im nächsten Moment verzog sie ihre grell geschminkten Lippen zu zwei schmalen Strichen und starrte Dorothea feindselig an.
Erik Jensen lächelte, wobei Dorothea nicht hätte sagen können, ob es verhalten oder siegesgewiss war. Irgendetwas gefiel ihr nicht an diesem Lächeln.
»Sehr vernünftig, Fräulein Fassbender. Ihre Entscheidung, meine ich. Dummerweise bin ich gerade in
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