Das Landmädchen und der Lord
Sie das, wenn Sie mir verzeihen, was immer ich verbrochen habe. Hoffentlich bin ich immer noch Ihr allerbester Freund. Harry.
In der Tat, sie trug das Geschenk an ihrem Kleid. Aber ihrem Lächeln entnahm er nicht, ob sie ihm verziehen hatte. Womit er ihr Missfallen erregte, wusste er nicht. Doch es hatte ihn bewogen, seine Pläne zu ändern. Er hatte ihr einen Heiratsantrag machen und eine Entführung vorschlagen wollen. Jetzt hielt er das nicht mehr für eine gute Idee. Das Abenteuer einer Entführung würde sie beglücken. Doch er war sich nicht sicher, ob sie eine Ehe mit ihm genauso aufregend finden würde. Deshalb wollte er vorerst die Freundschaft fortsetzen und abwarten, was geschehen mochte. Erst einmal würde er sie um drei Tänze bitten. Wenigstens einen musste sie ihm wohl oder übel gewähren.
An diesem Abend tanzte Susannah dreimal mit Harry Pendleton. Sie hatte gehofft, er würde sie zum Souper führen, damit sie sich unterhalten konnten. Dabei wollte sie ihn um Verzeihung für ihr unhöfliches Verhalten an jenem Abend bitten. Aber dann wollten einige junge Damen und Gentlemen mit ihr an der Tafel sitzen. Als Gastgeberin musste sie ihnen den Wunsch erfüllen.
Zum Glück währte ihre Enttäuschung nicht lange, denn Harry lud sie zu einer Kutschenfahrt im Park ein. Am Morgen nach ihrem Ball würde sie zu müde sein. Deshalb wollte er sie am übernächsten Tag um halb elf Uhr abholen.
Lächelnd beteuerte Susannah, sie würde ihn erwarten.
Später sprach er mit einer anderen jungen Dame, angeblich einer reichen Erbin. Gegen ihren Willen empfand Susannah heftige Eifersucht. Einfach lächerlich – doch sie konnte das Gefühl nicht verdrängen. Erst als er sich von ihr verabschiedete, tröstete sie der warme Glanz in seinen dunklen Augen. „Sie werden unsere Verabredung doch nicht vergessen?“
Über ihren Rücken rann ein wohliger Schauer. Wenn er sie so anschaute, glaubte sie beinahe, sie würde ihn lieben – und ihm etwas bedeuten. „Natürlich nicht, ich freue mich auf übermorgen.“
Erschöpft, aber glücklich sank sie schließlich ins Bett. An diesem Abend hatte noch etwas anderes ihr Herz erfreut. Nicht nur einmal, sondern zweimal hatte Amelia mit dem Earl of Ravenshead getanzt. Noch nie hatte Susannah ihre Gönnerin so fröhlich gesehen. Zufrieden blies sie die Kerze auf ihrem Nachttisch aus.
Am nächsten Morgen erwachte sie erst nach zwölf Uhr und war dankbar, dass ihre Mutter nach dem Ball einen ruhigen Abend daheim vorgeschlagen hatte.
Auch im Verlauf dieses Tages trafen mehrere Geschenke und ein rotes Rosensträußchen ein – von Harry, der sie damit an die geplante Kutschenfahrt am folgenden Morgen erinnern wollte.
Susannah stellte die Rosen in eine kleine Vase, die sie in ihr Schlafzimmer trug. Offenbar fand Lord Pendleton diese Fahrt sehr wichtig, und deshalb rechnete sie mit einem Heiratsantrag. Einerseits wollte sie ihm ihr Jawort geben, andererseits sehnte sie sich immer noch nach einem aufregenden Abenteuer. Aber dann schüttelte sie den Kopf und lachte über sich selbst. Wenn sie sich eine glückliche, gesicherte Zukunft wünschte, würde sie keinen besseren Ehemann finden als Harry Pendleton. Höchste Zeit, den albernen Traum von einem Ritter auf einem weißen Pferd zu begraben … In letzter Zeit war sie vernünftiger geworden und hatte ohnehin überlegt, eine Entführung würde sie eher erschrecken als erfreuen.
Auf dem Weg zum Salon hörte sie erhobene Stimmen, und so blieb ihr nicht verborgen, was Sir Michael Royston sagte. Hastig wandte sie sich ab, denn sie hatte beschlossen, nie wieder die Gespräche anderer Leute zu belauschen. Doch die lauten Stimmen folgten ihr, als sie die Treppe hinaufstieg.
„Lässt du dich etwa schon wieder mit diesem Schurken ein, Amelia? Das werde ich nicht dulden! Damals habe ich den dreisten Kerl sofort weggeschickt! Und ich werde nicht zögern, ihn auch diesmal zu verscheuchen!“
„Wie ich meine Zukunft gestalte, wirst du mir nicht vorschreiben, Michael. Weder in dieser Angelegenheit noch in irgendeiner anderen werde ich dir gehorchen.“ Klar und deutlich drang Amelias Antwort aus der offenen Salontür, und ihr Tonfall bekundete unmissverständlich, wie wütend sie war.
Auf halber Höhe der Treppe sah Susannah, wie Sir Michael aus dem Zimmer stürmte und die wuchtige Haustür hinter sich zuwarf.
Sofort rannte Susannah die Stufen hinab und in den Salon. Das Gesicht in den Händen verborgen, saß Amelia in einem Lehnstuhl. Sie
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