Das Landmädchen und der Lord
Marquess?“
„Zu jener Zeit war er noch kein Marquess. Aber man wusste, er würde den Titel von einem Onkel erben. Meine Freundin war ein einfaches Mädchen vom Lande. Für eine Affäre war sie ihm gut genug, für eine Heirat nicht. Wegen seiner finanziellen Probleme wird Northaven seine Ansprüche inzwischen etwas herabgesetzt haben und auch eine Bürgerliche heiraten. Aber sie muss ein gewisses Vermögen in die Ehe mitbringen.“
„Und jetzt droht Miss Hazledeane ein ähnliches Schicksal wie Ihrer Freundin. Hätte ich bloß nicht verschwiegen, was ich wusste!“
„Im Rückblick ist man meistens klüger, Susannah. Damals zögerte ich, meine Freundin zu warnen, obwohl ich herausgefunden hatte, dass sie sich mit einem jungen Mann traf, der nicht zu ihr passte. Von der Verführung ahnte ich nichts. Aber selbst wenn sie mir das gestanden hätte – ich wäre wohl kaum zu ihrer Mutter gegangen. Auch du wolltest dich nicht in die privaten Angelegenheiten einer anderen Person einmischen. Sobald Harry sich beruhigt hat, wird er es verstehen.“
„Wie auch immer, ich bin in seiner Achtung gesunken. Meinen Sie, Harry wird den Marquess veranlassen, Miss Hazledeane zu heiraten? Ich mochte sie nicht – und sie mich ebenso wenig. Trotzdem würde ich ihren gesellschaftlichen Ruin bedauern.“
„Nun, sie benahm sich etwas seltsam. Zu mir war sie freundlich. Aber ich vermute, sie war eifersüchtig auf dich. Ein paarmal sah ich, wie sie Pendleton schöne Augen machte. Doch er ermutigte sie nicht. Hätte er das getan, wäre sie sicher nicht mit einem Mann weggelaufen, dessen schlechten Charakter sie wahrscheinlich längst erkannt hatte.“
„Da bin ich mir nicht so sicher. Im Teesalon schaute sie ihn glückstrahlend an. Ganz bestimmt ist sie in ihn verliebt.“
„Vielleicht, jetzt. In ein paar Monaten wird sie ihn durchschauen.“
„Jedenfalls tut sie mir leid. Wäre sie hiergeblieben, würde sie sicher eine Mitgift von Harry bekommen. Dann könnte sie eine respektable Partie machen.“
„Das wird er auch jetzt tun. Und ich glaube, das wäre ihre einzige Hoffnung.“
„Wenn er das Mädchen und den Marquess bloß rechtzeitig findet! Aber ich fürchte, irgendetwas Schreckliches wird geschehen. Womöglich kommt es zu einem Kampf.“ Verzweifelt griff Susannah sich an die Kehle. „Wenn Harry getötet wird – und ich wäre schuld daran …“ Ein Schluchzen erstickte ihre Stimme.
„Um Pendleton musst du dich nicht sorgen. Er ist ein Gentleman. Niemals würde er sich in einen würdelosen Kampf verwickeln lassen. Sei versichert, die Sache wird auf vernünftige Weise geregelt. Und jetzt gib mir Zeit, damit ich mich anziehen kann, Liebes. Dann gehen wir nach unten. Die Gäste werden sich schon fragen, wo du steckst.“
9. KAPITEL
„Warum glaubst du, er hat sie hierher gebracht, Harry?“, fragte Gerard, als die drei Männer von den Pferden stiegen und das mittelgroße Haus mit den weißen Säulen vor der Fassade betrachteten. Hinter den vorderen Fenstern brannte kein Licht. „Wenn er sie heiraten möchte, müssten sie jetzt auf dem Weg nach Schottland sein.“
„Natürlich will er sie nicht heiraten“, entgegnete Harry grimmig. „Sei versichert, Gerard, ich kenne Northavens Beweggründe. Schon seit langer Zeit sucht er eine Gelegenheit, mir heimzuzahlen, dass ich ihn des Hochverrats bezichtigt habe. Eine Kugel in meinen Rücken wäre einfacher. Aber er will mich demütigen und zwingen, ihn anzuflehen, er möge das Mädchen heiraten.“
„Falls er dich an einer empfindlichen Stelle treffen will …“ Max Coleridge runzelte die Stirn. „Warum hat er dann nicht Miss Hampton entführt, die dir viel mehr bedeutet als Miss Hazledeane?“
„Gewiss, Jenny bedeutet mir nichts“, bestätigte Harry, „abgesehen von meinem Wort, das ich ihrem sterbenden Bruder gab – von meinem Versprechen, sie zu schützen. Darin habe ich versagt. Jetzt werde ich es wiedergutmachen. Northaven weiß, ich würde ihn unverzüglich töten, hätte er Susannah angerührt. Wahrscheinlich will er Geld verlangen.“
„Mit ein paar Tausend wird er sich nicht begnügen“, warnte Max. „Jag ihm eine Kugel in den Kopf, und schick Miss Hazledeane mit einer Gesellschafterin ins Ausland.“
„Daran habe ich auch schon gedacht“, erwiderte Harry halb belustigt, halb ärgerlich. „Aber ich möchte die Sache auf ehrbare Weise regeln. Wenn es stimmt, was Jenny meiner Verlobten erzählt hat, wurde sie vermutlich schon längst von Northaven
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