Das launische Eiland.
Frauen, wie allgemein bekannt, nur fürs Bett und die Küche taugen.
Deshalb stand Donna Matilde jetzt, um mehr zu erfahren, vor der Tür von Gaetanos Zimmer, der sich dort eingeschlossen hatte.
»Willst du mir wohl aufmachen?«
»Nein.«
»Mach auf, Stefanuzzo, mein Sohn.«
»Nein, zuerst muß ich noch fünfzehnmal den Rosenkranz beten.«
»Aber was ist nur geschehen?«
»Nichts. Doch ich habe jetzt keine Zeit zu verlieren.«
Gaetanuzzo betete weiter: In der Rechten hielt er die Perlen des Rosenkranzes fest umschlossen, seine Lippen waren langgezogen, und die Lichtlein unter sämtlichen Heiligenbildern brannten. Er zitterte unaufhörlich.
»Ihr müßt uns schützen, vollbringt ein Wunder, ein einziges Wunder nur, laßt uns dem Verderben entgehen.«
Hochverehrter und hochlöblicher Herr Abgeordneter Staatsanwalt des Königreichs!
Mein naturgegebener Stolz und der Grundstock alter Traditionen hielten mich eigentlich dazu an, persönlich bei Ihnen vorstellig zu werden und in pflichtgetreuer Ehrlichkeit Ihnen das mitzuteilen, was ich statt dessen gezwungen bin einem Stück Papier anzuvertrauen, das obendrein nicht mal eine Unterschrift trägt. Nicht aus Furcht, mich und meine Familie der Gefahr schwerster Blutverbrechen auszusetzen, unterzeichne ich hier nicht – denn Barbabianca, über den ich im folgenden sprechen werde, ist eine schlechte und zu jeder Schandtat fähige Person –, sondern aus gebotener Vorsicht und Zurückhal tung. Wenn ich es wage, Euer Hochwürden zu belästigen, statt mich an eine andere Euer Ehren untergeordnete Amtsperson zu wenden, liegt der Grund darin, daß es meinen Mitbürgern im allgemeinen widerstrebt, die verantwortlichen Funktionäre über Angelegenheiten und Umstände aufzuklären, die hingegen in jedem anderen Teil des Königsreichs auf großzügige Unterstützung in Form von Zeugenaussagen und Erklärungen stoßen würden. Sind Sie nicht auch der Ansicht, daß, wenn die Amtsgewalt den Bürgern größeres Vertrauen einflößte, viele von denen, die heute aus Furcht vor der Gewalt der Bösen und aufgrund des Wissens um die Nachgiebigkeit und sogar der Mitwisserschaft von Seiten gewisser Amtspersonen ihren Beistand verweigern, dem Gesetz Folge leisten würden, träfen sie auf fähigere und energi schere oder zumindest umsichtigere Funktionäre? Waren nicht des öfteren bei den Funktionären oder einzelnen von ihnen gewohnheitsmäßige Nachlässigkeit, Arbeitsscheu, übertriebene Faulheit und lasche Haltung bei der Ausübung ihrer Pflichten, fehlende Strebsamkeit und mangelnder Eifer zu beobachten? Wie oft schon geschah es, daß von Seiten der Bürgerschaft gewohnheitsmäßige Beziehungen zwischen Funktionären und Individuen kommentiert wurden, die in der Öffentlichkeit kompromit tiert waren? Doch ich bin nicht hier, um die Art und Weise der Verwaltung der öffentlichen Belange unter Prozeß zu stellen – wie sehr ich auch als ehrlicher Italiener nicht nur das Recht, sondern gar die Pflicht hätte, mich darüber zu beschweren –, sondern nur, um Euer Hochwohlgeboren auf einen vermutlichen Betrugsfall hinzuweisen, über den Ihrerseits unterrichtet zu sein dazu dient, meiner Erklä rung größeren Nachdruck zu verleihen.
Viele Jahre schon zieht die Firma Salvatore Barbabianca & Söhne durch ihre mangelhafte Gesinnung gegenüber allem, was als ehrliche und schickliche Handelssitten zu gelten vermag, das kristallreine Ansehen d er Kaufleute und Lagerverwalter von Vigàta in den Schmutz. Doch meine Absicht ist es, Euer Hochwohlgeboren nicht Worte, sondern Tatsachen zu unterbreiten, die allein einen unfehlbaren Gesetzeshüter interessieren können:
1) Verfälschung von Schwefelwaren
2) Unrechtmäßige Aneignung von Staats- und Privatgrundstücken zum Zwecke der Errichtung von Lagerhallen
3) Fehlen flüssiger Kapitalien und entsprechender Einsatz von »Bequemlichkeitskrediten«
4) Abzweigen von Firmengeldern für private Belange
5) Wiederholtes Erzwingen der Unterschriftsleistung betreffs hoher Geldsummen von der Schwester des Barbabianca Salvatore, verheiratete Caruso, Verwalterin der Geschäftsangelegenheiten des erblindeten Ehemanns
6) Zwei Moratorien
Doch das Ereignis, das mich zwingt, diesen Bericht niederzuschreiben, datiert von heute, den 18. September 1890, ist das folgende: Das russische Schiff »Iwan Tomorow« ist im Begriff, hier in unserem Hafen anzulegen, um von der Firma Jung fünftausend Kantar Schwefel abzuholen, die in den
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