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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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Boden sah, seine langen Beine zusammengefaltet, das Buch auf den Knien. Er las immer besser, verwandelte die Geschichten in Hörspiele. Perdu ahnte, wie aus diesen kleinen Kindern, die mit großen Augen und verzückter Konzentration lauschten, eines Tages Menschen werden würden, die das Lesen, das Verzaubertwerden, den ganz eigenen Film im Kopf brauchten wie die Luft zum Atmen.
    Allen unter vierzehn verkaufte er Bücher nach Gewicht: zwei Kilo für zehn Euro.
    »Machen wir denn da keinen Verlust?«, fragte Max.
    Perdu zuckte die Schultern. »Monetär ja. Aber Lesen macht bekanntlich frech, und die Welt von morgen kann sicher ein paar Leute gebrauchen, die aufmucken, finden Sie nicht?«
    Die Teenager drückten sich stets kichernd und dann auffällig still in der Erotika-Ecke herum. Perdu tat ihnen den Gefallen, laut und geschäftig herumzuklirren, wenn er sich näherte, damit sie ihre Lippen voneinander losschrauben und ihre geröteten Gesichter hinter einem harmlosen Buch verstecken konnten.
    Oft spielte Max Klavier und lockte damit Kunden an Bord.
    Perdu gewöhnte sich an, täglich eine Karte an Catherine aufzugeben und für angehende Literaturpharmazeuten in einem Schulheft neue Einträge für seine Enzyklopädie der kleinen bis mittelschweren Gefühle zu sammeln.
    Er setzte sich jeden Abend ans Heck und schaute in den Himmel. Immer war die Milchstraße zu sehen, und ab und an jagte eine Sternschnuppe vorbei. Die Frösche gaben A-cappella-Konzerte, die Grillen zirpten dazu, untermalt vom leisen Klackern der Seile an den Masten und dem gelegentlichen Bimmeln einer Schiffsglocke.
    Ihn durchströmten völlig neue Gefühle. Es war nur angemessen, dass Catherine sie erfuhr. Denn mit ihr hatte all das begonnen. All das, von dem er noch nicht wusste, welche Art Mann es aus ihm machte.
    Catherine, heute hat Max begriffen, dass ein Roman wie ein Garten ist, der Zeit braucht. Damit sich der Leser darin auch wirklich erholt. Ich fühle mich seltsam väterlich, wenn ich Max ansehe. Mit Gruß, Perdito.
    Catherine, heute Morgen bin ich aufgewacht und wusste für drei Sekunden, dass du eine Bildhauerin der Seele bist. Dass du eine Frau bist, die die Angst zähmt. Unter dir verwandelt sich Stein in Mensch zurück. John Lost, Hinkelstein.
    Catherine, die Flüsse sind anders als das Meer. Das Meer fordert, die Flüsse geben. Hier hamstern wir Zufriedenheit, Ruhe, Melancholie und den spiegelglatten Abendfrieden, wenn er graublau den Tag beschließt. Ich hab das Seepferdchen noch, das du mir aus dem Brot geknetet hast, das mit den Pfefferaugen. Es braucht dringend einen Begleiter. Findet Jeanno P.
    Catherine, die Menschen auf den Flüssen kommen erst im Unterwegssein an. Sie lieben Bücher über entlegene Inseln. Wenn die Wasserleute wüssten, wo sie morgen anlegen, würden sie krank. Es kann sie verstehen: J.P. aus P., zurzeit nirgends.
    Und Perdu hatte über den Flüssen noch etwas entdeckt: atmende Sterne. An einem Tag glänzten sie hell. Am nächsten waren sie blass. Dann wieder hell. Und das lag nicht an dem Dunst oder seiner Lesebrille, sondern daran, dass er sich Zeit nahm, den Blick von seinen eigenen Füßen zu erheben.
    Es sah aus, als ob sie atmeten, in einem unendlich langsamen, tiefen Rhythmus. Sie atmeten und sahen der Welt zu, wie sie wurde und verging. Manche Sterne hatten schon Dinosaurier gesehen und Neandertaler, sie hatten die Pyramiden emporwachsen sehen und Kolumbus Amerika entdecken. Für sie war die Erde nur eine weitere Welteninsel im unermesslichen Meeresall und ihre Bewohner erstaunlich … klein.

25
    A m Ende der ersten Woche informierte sie ein Stadtbeamter von Briare unter der Hand, dass sie entweder ein Saisongewerbe anmelden oder weiterziehen müssten. Er war selbst ein begeisterter Leser von amerikanischen Thrillern.
    »Aber passen Sie künftig auf, wo sie anlegen – die französische Bürokratie kennt von Natur aus keine Lücken.«
    Ausgerüstet mit Vorräten, Strom, Wasser und einer Handvoll Namen und Handynummern von freundlichen Leuten, die auf den Gewässern lebten, schwenkten sie in den Seitenkanal der Loire ein. Bald passierten sie Schlösser und dichte, harzig frisch duftende Wälder und Weinberge, an denen Sancerre Sauvignon, Pouilly Fumé und Pinot Noir angebaut wurden.
    Je weiter sie in den Süden vordrangen, desto wärmer wurde der Sommer. Ab und an sahen sie Schiffe, auf deren Decks sich Frauen in Bikinis ausstreckten.
    In den Auen bildeten Erlen, Brombeerruten und Wilde Rebe einen

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