Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
eine, die es erst mit Mitte fünfzig schafft, mal ›nein‹ zu sagen und etwas zu essen, das sie mag, anstatt nur das, was billig ist«, gab Max zu.
Cuneo drückte die Selbstgedrehte aus.
»Salvo, sag mal«, fragte Max, als sie schon fast eingeschlafen waren. »Darf ich deine Geschichte schreiben?«
»Untersteh dich, amico «, antwortete Salvatore. »Such dir gefälligst deine eigene storia, kleiner Massimo. Wenn du meine wegnimmst, habe ich doch keine eigene mehr.«
Max seufzte tief. »Na gut«, nuschelte er schläfrig. »Habt ihr beiden wenigstens … ein paar Wörter für mich? Lieblingswörter, oder so? Zum Einschlafen?«
Cuneo schmatzte. »Wie Milchsoufflé? Nudelkuss?«
»Ich mag Wörter, die sich anhören wie das, was sie beschreiben«, raunte Perdu. Er hatte die Augen geschlossen. »Abendbrise. Nachtläufer. Sommerkind. Trotz. Da sehe ich ein kleines Mädchen in Fantasierüstung, das gegen alles kämpft, was es nicht sein will. Brav und dünn und leise, igitt. Ritterchen Trotz gegen die dunkle Macht der Vernunft.«
»Das sind Wörter, an denen man sich schneidet«, murmelte Cuneo, »wie Rasierklingen im Ohr und auf der Zunge. Disziplin. Drill. Oder General Vernunft.«
»Die Vernunft liegt so breit im Mund, da kommen andere Wörter gar nicht mehr dran vorbei«, beklagte sich Max. Dann lachte er. »Stellt euch mal vor, man müsste sich schöne Wörter erst kaufen, bevor man sie benutzen darf.«
»Da wären einige bei ihrem Rededurchfall bald pleite.«
»Und die Reichen hätten das Sagen, weil sie all die wichtigen Wörter wegkaufen.«
»Und ›Ich liebe dich‹ wäre am teuersten.«
»Wenn es für eine Lüge benutzt wird, gleich doppelt.«
»Die Armen müssten Wortraub begehen. Oder es sich mit Taten zeigen, anstatt es zu sagen.«
»Sollten eh alle tun. Lieben ist ein Verb, also … tut man es. Weniger reden, mehr machen. Oder?«
Meine Güte, das Dope hat es aber in sich.
Wenig später rollten sich Salvo und Max aus den Decken und trotteten zu ihren Schlafplätzen unter Deck.
Bevor Max Jordan ganz verschwunden war, drehte er sich noch einmal zu Perdu um.
»Was denn, Monsieur?«, fragte der müde. »Wollen Sie noch ein Wort zum Einschlafen mitnehmen?«
»Ich … nein. Ich wollte nur sagen, also … ich mag Sie wirklich. Egal, was …«
Max wirkte, als wollte er noch etwas sagen, wisse aber nicht, wie.
»Ich mag Sie auch, Monsieur Jordan. Sehr sogar. Ich würde mich freuen, wenn wir Freunde werden. Monsieur Max.«
Die beiden Männer schauten sich an; nur das Mondlicht erhellte ihre Gesichter. Max’ Augen lagen im Dunkeln.
»Ja«, flüsterte der junge Mann. »Ja, Jean. Ich bin gern … Ihr Freund. Ich werde versuchen, ein guter zu sein.«
Das verstand Perdu zwar nicht, schob es aber auf den Joint.
Als Perdu allein war, lag er einfach nur da. Die Nacht begann, ihren Geruch zu verändern. Von irgendwoher wehte ihn ein Duft her … War das Lavendel?
Etwas erbebte in ihm.
Er erinnerte sich, dass er als sehr junger Mann, noch bevor er Manon kennengelernt hatte, bei dem Duft von Lavendel dasselbe in sich gespürt hatte. Eine Erschütterung. Als ob sein Herz schon wusste, dass in ferner Zukunft dieser Duft verbunden sein würde mit Sehnsucht. Mit Schmerz. Mit Liebe. Mit einer Frau.
Er atmete tief ein und ließ diese Erinnerung ganz durch sich hindurchgleiten. Ja, vielleicht hatte er schon vorher, in Max’ Alter, die Erschütterung gespürt, die diese Frau Jahre später in seinem Leben auslösen würde.
Jean Perdu nahm die Flagge, die Manon genäht hatte, vom Bug, und strich sie glatt. Dann kniete er nieder und legte seine Stirn auf das Auge des Büchervogels, dort, wo Manons Blut einst zu einem dunklen Fleck getrocknet war.
Nächte sind zwischen uns, Manon.
Er flüsterte, auf den Knien, den Kopf geneigt: »Nächte und Tage und Länder und Meere. Tausende von Leben kamen und gingen, und du wartest auf mich.
In einem Zimmer, irgendwo, nebenan.
Wissend bist du und liebend.
In meinen Gedanken liebst du mich immer noch.
Du bist die Angst, die in mir Stein schneidet.
Du bist das Leben, das in mir auf mich hofft.
Du bist der Tod, den ich fürchte.
Du bist mir geschehen, und ich habe dir meine Worte vorenthalten. Meine Trauer. Meine Erinnerung.
Deinen Platz in mir und all unsere Zeit.
Ich habe unseren Stern verloren.
Verzeihst du mir?
Manon?«
26
M ax! Die nächste Kammer des Schreckens voraus.«
Jordan schleppte sich heran. »Wetten, mir pinkelt wieder der Schleusenwärterköter
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