Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
magischen Urwald, durchwebt von grünlich schimmernden Lichtern, in denen Waldstäubchen tanzten. Zwischen den Stämmen blitzten Moortümpel auf, Holunderfrüchte und schiefe Buchen.
Cuneo zog einen Fisch nach dem nächsten aus dem murmelnden Wasser, und auf den langen, flachen Sandbänken sahen sie Graureiher, Fischadler und Seeschwalben rasten. Hier und da tauchten Biber ins Gebüsch, auf der Jagd nach Biberratten. Es war ein altes, sattes Frankreich, was sich ihnen hier präsentierte, süffig, herrschaftlich, laubgrün und einsam.
In einer Nacht ankerten sie an einer verwilderten, ungenutzten Weide. Es war still. Nicht einmal das Wasser gluckste, und es war kein einziges Motorengeräusch zu hören. Sie waren völlig allein, bis auf ein paar Käuzchen, die sich gelegentlich etwas über das Wasser hinweg zuriefen.
Nach dem Abendessen bei Kerzenlicht schleppten sie Decken und Kissen an Deck und lagen dann da, drei Männer, Kopf an Kopf, wie ein dreizackiger Stern.
Die Milchstraße stand wie eine helle Schliere, ein Kondensstreifen aus Planeten direkt über ihnen.
Die Ruhe war schier überwältigend, und die blaue Tiefe des Nachthimmels schien sie in sich einzusaugen.
Max zauberte einen dünnen Joint hervor.
»Ich muss scharf protestieren«, sagte Jean behaglich.
»Aye, Skipper. Registriert. Einer der Holländer hat ihn mir gegeben, er hatte kein Geld für den Houellebecq.«
Max zündete das Dope an.
Cuneo schnupperte. »Riecht wie verbrannter Salbei.« Er nahm die Gedrehte umständlich an, und zog kurz und vorsichtig.
»Brr. Schmeckt wie einmal an der Tanne lecken.«
»Du musst es in die Lunge saugen und da so lange drinlassen, wie du kannst«, riet ihm Max. Cuneo gehorchte.
»Ach du heiliger Balsamico«, keuchte er dann.
Jean zog nur sacht und ließ den Rauch im Gaumen herumwallen. Ein Teil von ihm fürchtete den Kontrollverlust. Ein anderer sehnte sich genau danach.
Immer noch war es Jean, als säße ein Pfropf aus Zeit, Gewohnheit und verharzter Angst in ihm, der verhinderte, dass sich seine Trauer Bahn brach. Er fühlte sich bewohnt von steinernen Tränen. Sie verhinderten, dass etwas anderes in ihm Platz fand.
Er hatte bisher weder Max noch Cuneo gestanden, dass die Frau, für die er alle Leinen seines Lebens gekappt hatte, längst zu Staub geworden war.
Und auch nicht, dass er sich schämte. Dass es die Scham war, die ihn trieb, aber dass er weder wusste, was er in Bonnieux tun sollte, noch, was er hoffte, dort zu finden. Frieden? Den hatte er sich noch lange nicht verdient.
Na, gut, ein zweiter Zug konnte nicht schaden.
Der Rauch war beißend heiß. Diesmal sog er ihn tief ein.
Jean fühlte sich, als läge er am Grund eines Meeres, eines Meeres aus schwerer Luft. Es war so still wie unter Wasser. Sogar die Käuzchen schwiegen jetzt.
»Total vollgesternt«, murmelte Cuneo mit verknoteter Zunge.
»Wahrscheinlich fliegen wir über den Himmel. Die Erde ist eine Dikusscheibe, so isses nämlich«, erklärte Max.
»Oder eine Schlachtplatte«, hickste Cuneo.
Er und Max prusteten los. Sie lachten, und ihre Stimmen hallten über den Fluss und schreckten die Hasenkinder im Dickicht auf, die sich mit wild pochendem Herzen flacher in ihre Schlafgruben drückten.
Der Nachttau legte sich auf Jeans Lider. Er lachte nicht. Ihm war, als verhindere das Luftmeer über ihm, dass sich sein Brustkorb überhaupt heben konnte.
»Wie war sie denn so, deine Gesuchte, Cuneo?«, fragte Max, als sie sich beruhigt hatten.
»Schön. Jung. Und sehr braun von der Sonne«, antwortete Cuneo.
Er hielt inne.
»Bis auf du-weißt-schon-wo. Da war sie weiß wie Milchcreme.«
Er seufzte. »Und schmeckte auch so süß.«
Sie sahen Sternschnuppen, die hier und da kurz aufflammten, durch ihr Blickfeld jagten und verglühten.
»Die Dummheiten der Liebe sind die schönsten. Aber man bezahlt am teuersten für sie«, flüsterte Cuneo und zog sich seine Decke bis ans Kinn. »Für die kleinen genauso wie für die großen.«
Wieder seufzte er. »Es war nur eine Nacht. Vivette war verlobt, damals, aber wie das so war, es hieß nur, dass sie unantastbar war für Männer, vor allem für Männer wie mich.«
»Ausländer?«, fragte Max.
»Nein, Massimo, das war kein Problem. Kein Flussschiffer, das war das Tabu.«
Cuneo zog noch einmal an dem Joint und gab ihn weiter.
»Vivette kam über mich wie ein Fieber, das bis heute anhält. Mein Blut kocht, wenn ich an sie denke. Ihr Gesicht schaut mich aus jedem Schatten an und aus jedem
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