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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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war.
    »Bitte«, bat er leise. »Bitte.«
    Wieder und wieder streichelte er über den Kopf in seinem Schoß.
    Die braunen Augen des Rehs sahen glanzlos an ihm vorbei.
    Max schwamm auf dem Rücken, die Arme weit ausgebreitet.
    Cuneo auf dem Deck hielt sein Gesicht in beiden Händen.
    Keiner der Männer wagte es, die anderen anzusehen.

27
    S ie fuhren in Schweigen den Seitenkanal der Loire gen Süden durchs Burgund, unter mächtigen, grünen Kathedralbögen der Bäume hindurch, die sich über den Kanal wölbten. Manche Weinberge waren so groß, dass ihre Rebenreihen bis an den Horizont zu reichen schienen. Überall blühten Blumen, sogar die Schleusen und Brücken waren überwuchert.
    Die drei aßen schweigend, verkauften schweigend Bücher an Uferkunden, und sie gingen sich aus dem Weg. Am Abend lasen sie, jeder für sich in einer Ecke des Schiffs. Die Katzen liefen ratlos von einem zum anderen. Aber auch sie konnten keinen aus der mutwilligen Vereinsamung reißen. Ihre reibenden Köpfchen, bohrenden Blicke und ihr fragendes Miauen blieben unbeantwortet.
    Der Tod des Rehs hatte den Dreimännerstern auseinandergeschlagen. Jetzt driftete jeder wieder allein durch die Zeit, die elende, komplizierte Zeit.
    Jean saß lange über dem linierten Schreibheft für seine Gefühlsenzyklopädie. Er starrte aus dem Fenster, ohne zu sehen, wie der Himmel in allen Farben von Rot bis Orange verschwamm. Es war, als wate er durch Gedankensirup.
    Am nächsten Abend passierten sie Nevers und legten nach einer kurzen, angespannten Diskussion – »Warum nicht Nevers? Da könnten wir Bücher verkaufen.« – »In Nevers gibt es genug Buchhandlungen, aber niemanden, der uns Diesel verkaufen kann.« – kurz vor Schleusenschluss in der Nähe des winzigen Ortes Apremont-sur-Allier an, das sich in die Mäander des Allier schmiegte. Cuneo hatte dort Bekannte, einen Steinbildhauer und seine Familie, die in einem abgelegenen Haus zwischen dem Allier und dem Dorf wohnten.
    Hier, vom »Garten Frankreichs« aus, würde es nicht mehr weit sein bis Digoin und dem Abzweig zum Zentralkanal, der sie in Richtung Rhône und auf die Seille nach Cuisery, der Bücherstadt, bringen würde.
    Kafka und Lindgren flitzten in das Uferwäldchen, um zu jagen. Wenig später flogen die Vögel auf.
    Als die drei Männer durch das Dorf gingen, war es Jean, als träten sie in die Zeit des 15. Jahrhunderts ein.
    Die hohen, breithäuptigen Bäume, die kaum befestigten Wege, die Handvoll Häuser mit gelbem Sandstein, rosafarbenem Ocker und roten Schindeln, ja, sogar die Blumen der Bauerngärten und den Efeu, der sich überall emporwand, all das wirkte, als hätten sie das Frankreich der Ritter- und Hexenzeit betreten. Gekrönt wurde das Dorf ehemaliger Steinhauer und Mauerschläger von einem Schlösschen, dessen Fassade im Schein der bald untergehenden Sonne goldrot aufglomm. Nur die modernen Räder störten das Gesamtbild – am Ufer des Allier saßen Radreisewanderer und picknickten.
    »Ziemlich scheißlieblich hier«, moserte Max.
    Sie durchquerten hinter einem massigen, alten runden Wehrturm einen Blumengarten, der so üppig in Rosa, Rot und Weiß erblühte, dass Jean schwindelig wurde von Duft und Anblick. Gewaltige Glyzinien beugten sich wie Laubenbögen über die Wege, und in einem See thronte eine einsame Pagode, nur zu erreichen durch einige erhöhte Steine im Wasser.
    »Und hier leben echte Leute oder nur Komparsen?«, fragte Max angriffslustig. »Was soll das sein, ein Vorführdorf für Amerikaner?«
    »Ja, Max, hier leben Menschen. Solche, die sich noch ein kleines bisschen mehr als andere der Realität widersetzen. Und nein, Apremont ist nicht für Amerikaner. Es ist für die Schönheit der Dinge«, antwortete Cuneo.
    Er teilte einen großen Rhododendron, drückte eine verborgene Pforte in einer hohen alten Steinmauer auf.
    Sie betraten einen weitläufigen Garten mit gepflegtem Rasen, auf der Rückseite eines großen, prächtigen Herrenhauses mit hohen, doppelflügeligen Fenstern, einem Türmchen, zwei Eckflügeln und einer Terrasse.
    Jean fühlte sich unglaublich fremd und steif. Es war lange her, dass er Menschen bei sich zu Hause besucht hatte.
    Als sie näher kamen, hörten sie Klaviergeklimper und Gelächter, und nachdem sie den Garten durchschritten hatten, sah Perdu unter einer Rotbuche eine Frau, die nackt, nur mit einem mondänen Hut bekleidet, auf einem Stuhl saß und auf eine Leinwand malte; daneben saß ein Mann in einem altmodischen, englischen

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