Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Erzähl mir alles. Und hilf mir beim Kochen«, forderte sie den Neapolitaner auf, hakte ihn unter und führte ihn zum Haus. Rechts hatte Javier seinen Arm um den Italiener gelegt, hintendrein ging Elaias Bruder Leon.
Jean fühlte sich überflüssig. Er schlenderte unschlüssig durch den Garten. In einer Ecke, wo sich die Schatten verdichteten, entdeckte er unter einer Buche eine verwitterte Steinbank. Hier konnte ihn niemand sehen. Aber er alles.
Von dort aus sah er auf das Haus, beobachtete, wie nach und nach die Lichter aufflammten und wie seine Bewohner durch die Zimmer gingen. Er sah Cuneo mit Zelda in der großen Küche werkeln und Javier, der mit Leon rauchend am Esstisch saß, ab und an etwas zu fragen schien.
Max hatte aufgehört, Klavier zu spielen. Elaia und er unterhielten sich leise. Und dann küssten sie sich.
Wenig später nahm Elaia Max mit in die Tiefen des Hauses.
Kurze Zeit später flammte Kerzenlicht in einem Erker auf. Jean konnte Elaias Schatten sehen, der über Max kniete, und sie hielt seine Hände dort, wo ihr Herz schlug, als sie begann, sich auf ihm zu bewegen. Jean sah, wie sie Lupo eine Nacht abrang, die nicht ihm gehörte.
Max lag noch da, als Elaia aus dem Zimmer tanzte und mit einem langen Schlaf-T-Shirt angetan in die Küche ging und, wie Perdu beobachtete, sich zu ihrem Vater auf die Bank setzte.
Bald stolperte auch Max in die Küche. Er half, den Tisch zu decken, den Wein zu öffnen. Aus seinem Versteck heraus konnte Perdu sehen, wie Elaia Max nachsah, wenn er ihr den Rücken zudrehte. Sie machte dabei ein so schelmisches Gesicht, als hätte sie ihm einen grandiosen Streich gespielt. Wenn sie nicht hinsah, schenkte er ihr ein scheues, plüschäugiges Lächeln.
»Verliebe dich bloß nicht in eine Frau, die stirbt, Max. Es ist kaum auszuhalten«, flüsterte Jean.
Etwas in seiner Brust zog sich zusammen. Es drückte sich durch seine Kehle nach oben und quoll aus seinem Mund.
Ein krampfartiges, tiefes Schluchzen.
Wie es geschrien hat. Wie das Reh geschrien hat! Oh, Manon.
Und da kamen sie. Die Tränen.
Er schaffte es gerade noch, sich an die Buche zu lehnen und seine Hände links und rechts an den Stamm zu pressen.
Er wimmerte, er weinte. Jean Perdu weinte wie nie zuvor.
Er klammerte sich an den Baum. Er schwitzte. Er hörte diese Laute aus seinem Mund, und es war, als risse ein Damm.
Wie lange es dauerte, wusste er nicht.
Minuten? Eine Viertelstunde? Länger?
Er weinte in seine Hände, mit tiefen, verzweifelten Schluchzern, bis es einfach aufhörte. Als ob er eine Hautblüte aufgeschnitten und das eitrige Innere ausgepresst hätte. Übrig blieb erschöpfte Leere. Und Wärme, eine ungekannte Wärme, wie von einem Motor, der durch die Tränen in Gang gesetzt wurde. Er war es, der Jean aufstehen ließ und durch den Garten gehen, schneller, bis er lief, direkt in die große Küche hinein.
Sie hatten noch nicht mit dem Essen begonnen, und seltsamerweise machte ihn das glücklich, für einen Lidschlag, weil diese Fremden auf ihn gewartet hatten, weil er doch nicht überflüssig war.
»Und natürlich kann eine Pastete wie ein Gemälde …«, schwärmte Cuneo gerade.
Sie schauten ihn alle erstaunt und mitten im Satz an.
»Da sind Sie ja!«, rief Max. »Wo waren Sie denn bloß?«
»Max. Salvo. Ich muss euch etwas sagen«, stieß Jean hervor.
28
D iese Worte auszusprechen. Sie wahrhaftig auszusprechen und ihrem Klang nachzulauschen. Wie der Satz dann dastand, in der Küche von Zelda und Javier, zwischen Salatschüsseln und Weingläsern voller Rotwein. Und was er bedeutete.
»Sie ist tot.«
Es hieß, dass er allein war.
Es hieß, dass der Tod keine Ausnahme machte.
Er spürte, wie eine kleine Hand nach seiner griff.
Elaia.
Sie zog ihn herunter auf die Bank. Seine Knie zitterten.
Jean schaute nacheinander erst Cuneo, dann Max ins Gesicht.
»Ich muss mich nicht beeilen«, sagte er, »weil Manon schon seit einundzwanzig Jahren tot ist.«
»Dio mio«, entfuhr es Cuneo.
Max atmete hörbar ein, dann langte er in seine Hemdtasche.
Er zog ein Stück Zeitungspapier hervor, zweimal gefaltet, und schob es Jean hinüber.
»Ich habe es gefunden, als wir noch in Briare waren. Es steckte in einem Buch von Proust.«
Jean faltet das Papier auseinander.
Die Todesanzeige.
Er hatte sie damals in irgendein Buch in der Literarischen Apotheke gesteckt, es wahllos eingeordnet, und dann, nach einiger Zeit, vergessen, welches es gewesen und wo es in den Tausenden von Büchern
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