Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Sommeranzug an einem Klavier auf Rädern.
»Hey! Du da mit dem hübschen Mund, kannst du Klavier spielen?«, rief die Nackte, als sie die drei Männer sah.
Max errötete. Und nickte.
»Dann spiel mir was, die Farben tanzen so gern. Mein Bruder kann nicht mal ein a von einem h unterscheiden.«
Max klemmte sich gehorsam an das Piano auf Rädern und versuchte, der Nackten nicht auf den Busen zu gaffen. Vor allem, da sie nur noch ihre linke Brust besaß. An der anderen, der rechten Seite verriet eine dünne rote Linie, dass dort einmal deren Zwilling gewesen war, ebenso rund und voll und jung.
»Schau in Ruhe hin. Dann legt sich die Neugier«, sagte sie. Sie nahm den Hut ab und zeigte sich ihm ganz: ein nackter Schädel, auf dem sich Flaum bildete. Ein krebsverletzter Körper, der sich zurück ins Leben kämpfte.
»Haben Sie denn ein Lieblingslied?«, fragte Max, nachdem er seine Verlegenheit, seine Faszination und auch sein Mitgefühl hinuntergeschluckt hatte.
»Habe ich, schöner Mundmann. Viele. Tausende!« Sie beugte sich vor, flüsterte Max etwas zu, setzte den Hut wieder auf und tauchte dann ihren Pinsel erwartungsvoll in den roten Farbbrei auf ihrer Palette.
»Ich wäre so weit«, sagte sie, »und sag Elaia zu mir!«
Wenig später erklang »Fly me to the moon«. Max spielte es als wunderschöne Jazzversion. Die Malerin schwang den Pinsel im Strom der Melodie.
»Sie ist Javiers Tochter«, flüsterte Cuneo. »Sie kämpft, seit sie ein Mädchen ist, gegen den Krebs. Ich bin froh, dass sie offenbar immer noch gewinnt.«
»Nein! Das ist ja unmöglich – du wagst es, jetzt erst, einfach so, wieder aufzutauchen?«
Eine Frau etwa in Jeans Alter kam von der Terrasse aus in Cuneos Arme geflogen. Sie besaß unglaublich lachende Augen.
»Oh, du verdammter Nudeldreher! Javier, sieh doch nur, wer da ist – der Steinstreichler!«
Ein Mann in abgenutzten groben Cordhosen und einem Zimmermannshemd kam aus dem Inneren des Hauses. Das, wie Jean jetzt beim Nähertreten sah, längst nicht so hochherrschaftlich war, wie es von weitem wirkte. Eher ein Haus, dessen glorreiche Zeiten mit goldenen Lüstern und einem Dutzend Angestellter sehr, sehr lange vorbei war.
Nun wandte sich die Frau mit den lachenden Augen an Perdu.
»Hallo«, sagte sie, »herzlich willkommen bei den Flintstones.«
»Guten Tag«, begann Jean Perdu, »mein Name ist –«
»Ach, lass doch die Namen. Wir brauchen sie hier nicht. Hier heißt jeder so, wie er will. Oder nach dem, was er kann. Kannst du etwas besonders gut? Oder bist du etwas Besonderes?«
Ihre dunkelbraunen Augen sprühten.
»Ich bin der Steinstreichler!«, rief Cuneo. Er kannte das Spiel.
»Ich bin …«, begann Perdu.
»Hör nicht auf ihn, Zelda. Er ist der Seelenleser, das ist er«, sagte Cuneo. »Und er heißt Jean und wird dir jedes Buch besorgen, das du brauchst, um wieder gut zu schlafen.«
Er drehte sich um, als Zeldas Mann ihm auf die Schulter klopfte.
Die Hausherrin sah nun aufmerksamer zu Perdu.
»Ja?«, fragte sie. »Das kannst du? Dann wärest du ein Wundermann.«
Um ihren lachenden Mund legte sich ein trauriger Zug.
Ihr Blick wanderte in den Garten, zu Elaia.
Max gab nun eine rasante Version von »Hit the Road, Jack« zum Besten, für Javiers und Zeldas todkranke Tochter.
Zelda musste müde sein, dachte Perdu, müde davon, dass der Tod seit Jahren mit ihnen in diesem wunderschönen Haus wohnte.
»Haben Sie … habt ihr einen Namen für ihn?«, fragte er.
»Wen, ihn?«
»Für das, was in Elaias Körper wohnt und schläft, oder nur so tut, als schliefe es.«
Zelda strich über Perdus unrasierte Wange.
»Du kennst dich aus mit dem Tod, hm?« Sie lächelte traurig. »Er, der Krebs, heißt Lupo. Elaia hat ihn so genannt, als sie neun Jahre alt war. Lupo, wie der Comic-Hund. Sie stellt sich vor, dass sie beide in diesem Körper wohnen wie in einem Haus und es sich teilen wie eine WG. Sie respektiert es, dass er manchmal mehr Aufmerksamkeit will. Sie sagte, so kann sie besser schlafen, als wenn sie sich vorstellt, dass er sie zerstören will. Wer zerstört denn bitte schön sein eigenes Haus?«
Zelda lächelte voller Liebe, während sie ihre Tochter betrachtete. »Seit über zwanzig Jahren lebt Lupo bei uns. Ich glaube, langsam wird auch er alt und müde.«
Sie drehte sich abrupt von Jean fort und zu Cuneo um, so, als ob sie bedauerte, offen gewesen zu sein.
»Und jetzt zu dir. Wo warst du, hast du Vivette gefunden, und werdet ihr heute Nacht hier schlafen?
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