Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
bitte, Javier ist überreizt, wir warten auf Laborergebnisse von Lupo …«
»Ich bin nicht gereizt, ich bin abgestoßen, Zelda, abgestoßen.«
»Wir gehen alle drei. Jetzt«, sagte Perdu.
»Ist auch besser so«, zischte Javier.
Jean stand auf. Max ebenso.
»Salvo?«
Erst jetzt sah Cuneo hoch. Tränenüberströmt. Grenzenlose Verlorenheit im Blick.
»Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Madame Zelda«, sagte Perdu.
Sie schenkte ihm ein verzweifeltes kleines Lächeln.
»Viel Glück mit Lupo, Mademoiselle Elaia. Es tut mir sehr, sehr leid, was Sie durchmachen müssen. Von Herzen«, wandte er sich an die Kranke. »Und Ihnen, Monsieur Javier, wünsche ich, dass Sie von Ihrer wunderbaren Ehefrau immer weiter geliebt werden und eines Tages merken, dass das etwas Besonderes ist. Guten Tag.«
Javiers Blick verriet, dass er Perdu gern schlagen wollte.
Elaia lief den Männern durch den dunklen, schweigenden Garten hinterher. Die Grillen zirpten, sonst waren ihre Schritte im nachtfeuchten Gras das einzige Geräusch. Elaia ging barfuß an Max’ Seite.
Er nahm sie sanft bei der Hand.
Als sie vor dem Schiff standen, sagte Cuneo heiser: »Danke für … die Mitfahrgelegenheit. Ich werde jetzt meine Sachen packen und gehen, mit deinem Einverständnis, Giovanni Perdito.«
»Kein Grund, förmlich zu werden und in die Nacht hinauszurennen, Salvo«, erwiderte Perdu gelassen.
Er kletterte an der Bordleiter hoch. Cuneo folgte ihm zögernd.
Als sie die Flagge am Bug einholten, fragte Perdu mit einem kleinen Lachen: »Einen dreifaltigen Riesenhintern? Was zum Teufel soll das denn sein?«
Cuneo antwortete unsicher: »Na ja. Stell dir eben ein Dreifachkinn vor … am Hintern.«
»Nein, das möchte ich lieber nicht«, erwiderte Perdu und konnte sich kaum noch beherrschen, laut loszulachen.
»Du nimmst die Lage nicht ernst«, beschwerte sich Cuneo. »Stell dir doch mal vor, die Liebe deines Lebens erweist sich als Trugbild. Mit Pferdehintern, Pferdegebiss und einem Gehirn, das vermutlich unter Kenophobie leidet.«
»An Angst vor leerem Raum? Beängstigend.«
Sie lächelten sich scheu an.
»Lieben oder Nichtlieben sollten wie Kaffee oder Tee sein. Man sollte sich dafür entscheiden dürfen. Wie sollen wir sonst über all unsere Toten und unsere verlorenen Frauen hinwegkommen?«, flüsterte Cuneo mutlos.
»Vielleicht sollen wir das ja gar nicht.«
»Meinst du? Nicht darüber hinwegkommen, sondern … was? Was denn? Was ist denn die Aufgabe, die unsere Verlorenen uns stellen?«
Das war die Frage, auf die Jean Perdu all die langen Jahre keine Antwort gewusst hatte.
Bis heute. Heute wusste er sie.
»Dass wir sie in uns tragen. Das ist die Aufgabe. Wir tragen sie alle in uns, unsere Toten und zerschlagenen Lieben. Sie machen uns erst ganz. Wenn wir anfangen, unsere Verlorenen zu vergessen oder zu verbannen, dann … dann sind auch wir nicht mehr da.«
Jean sah auf den im Mondlicht schimmernden Allier.
»All die Liebe. All die Toten. All die Menschen unserer Zeiten. Sie sind die Flüsse, aus denen unser Seelenmeer besteht. Wenn wir uns nicht an sie erinnern wollen, wird auch das Meer versiegen.«
Er verspürte solch einen Durst in sich, sich das Leben zu schnappen, mit beiden Händen, bevor die Zeit noch schneller verging. Er wollte nicht verdursten, er wollte frei und weit sein, wie das Meer, voll und tief. Er sehnte sich nach Freunden. Er wollte lieben. Er wollte Manon in sich nachspüren. Er wollte fühlen, wie sie noch in ihm wogte, sich mit ihm vermischt hatte. Manon hatte ihn verändert, unwiderruflich – wozu es leugnen? So war er jener Mann geworden, dem Catherine erlaubt hatte, sich ihr zu nähern.
Auf einmal war Jean Perdu klar, dass Catherine niemals Manons Platz einnehmen konnte.
Sie nahm einen eigenen ein.
Nicht schlechter. Nicht besser. Nur anders.
Er hatte solche Lust, Catherine sein ganzes Meer zu zeigen!
Die Männer beobachteten, wie Max und Elaia sich küssten.
Jean wusste, sie würden nicht weiter über ihre Lügen und Illusionen reden. Es war alles Wesentliche gesagt.
29
E ine Woche später.
Sie hatten sich, tastend und vorsichtig, die Eckdaten ihrer Leben gestanden. Salvatore, die »Zumutung« aus einem Freistundenunfall zwischen seiner Mutter, einer Putzfrau, und einem verheirateten Lehrer. Jean, das Kind einer trotzigen Liebe zwischen Prekariats-Handwerker und Aristokraten-Akademikerin. Max, der letzte Versuch einer erstarrten Ehe zwischen einer ehemaligen Ja-Sagerin und einem von
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