Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
einem Käufer suchen.
»Ob sich Cuneo hier wohl fühlen würde?«, fragte er die Katzen auf seinem Schoß.
Sie stießen ihre Köpfchen in seine Hand.
Es hieß, Schnurren könne sogar einen Eimer voll gebrochener Knochen zusammenwachsen lassen und eine versteinerte Seele heilen. Aber wenn das geschehen war, gingen die Katzen ihrer eigenen Wege und sahen nicht zurück. Sie liebten ohne Scheu, ohne Bedingung, aber auch ohne Versprechen.
Jean Perdu dachte an Hesses Stufen. Die meisten Menschen kannten natürlich den Satz »Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …« Doch die Ergänzung »der uns beschützt und der uns hilft zu leben« kannten nur noch wenige – und dass es bei Hesse nicht um Neuanfang ging, verstand fast niemand.
Sondern um die Bereitschaft zum Abschied.
Abschied von Gewohnheiten.
Abschied von Illusionen.
Abschied von einem Leben, das längst vorbei und indem man selbst nur noch eine Hülle war, in der sich ab und an ein Seufzen regte.
35
D er Tag empfing sie mit vierunddreißig Grad zum späten Frühstück – und einer Überraschung von Samy, die mit Cuneo bereits einkaufen gegangen war und ihnen allen Prepaid-Handys besorgt hatte.
Perdu betrachtete seines, das sie ihm zwischen Croissants und Kaffeebecher hinschob, skeptisch. Um die Zahlen zu entziffern, brauchte er seine Lesebrille.
»Die Dinger gibt’s seit zwanzig Jahren. Du kannst ihnen vertrauen«, zog Max ihn auf.
»Ich habe unsere Nummern für dich eingespeichert«, belehrte Samy Jean. »Und ich will, dass du uns anrufst. Wenn es dir gutgeht, wenn du nicht weißt, wie man Eier pochiert, oder wenn dir langweilig ist und du aus dem Fenster springen möchtest, um mal wieder etwas zu erleben.«
Jean rührte Samys Ernsthaftigkeit. »Danke«, sagte er verlegen.
Ihre offene, angstlose Zuneigung schüchterte ihn ein. War es das, was Menschen an Freundschaften so mochten?
Als sie sich umarmten, verschwand die kleine Samy fast in seinen Armen.
»Ich, also … ich möchte euch etwas geben«, begann Perdu danach. Verlegen schob er Cuneo die Schlüssel des Kahns hinüber.
»Verehrteste unbegabteste Lügnerin der Welt. Weltbester Koch westlich von Italien. Ich muss von hier aus ohne mein Schiff reisen. Deshalb übergebe ich euch hiermit die Lulu. Behaltet bitte immer ein Eckchen frei für Katzen und für Schriftsteller, die ihre Geschichte suchen. Wollt ihr? Ihr müsst nicht, aber wenn ihr es wollt, würde ich mich freuen, wenn ihr auf das Schiff achtet. Leihweise, für immer, sozusagen, also …«
»Nein! Das ist dein Beruf, dein Büro, deine Seelenpraxis, dein Fluchthelfer, dein Zuhause. Das Bücherschiff bist du, du blöder Kerl, so etwas gibt man nicht einfach fremden Leuten, auch wenn die’s sehr gern haben wollten!«, brüllte Samy.
Sie starrten Samantha verblüfft an.
»’tschuldigung«, murmelte sie. »Ich … äh … ich mein’s aber genau so. Das geht nicht. Schon gar nicht der Tausch Handy gegen Bücherschiff, also wirklich. Wie peinlich!« Samy kicherte verlegen.
»Das mit dem Nichtlügenkönnen scheint ja wirklich ein Geschenk fürs Leben zu sein«, merkte Max an. »Und übrigens, bevor mich jemand fragt: Nein, ich brauche kein Schiff, aber wenn du mich noch ein Stück im Wagen mitnimmst, Jean, würde ich mich freuen.«
Cuneo standen Tränen in den Augen.
»Ach, ach«, war alles, was er herausbekam. »Ach, Capitano. Ach, alles. Ich … cazzo … und das alles.«
Sie sprachen lange, diskutierten das Für und Wider. Je zögernder sich Cuneo und Samy zeigten, desto mehr insistierte Jean.
Max hielt sich zurück, nur einmal fragte er: »Nennt sich das eigentlich Harakiri oder so?«
Perdu ignorierte ihn. Es musste sein, er spürte es, und es dauerte den halben Vormittag, bis Samy und Cuneo zusagten.
Sehr andächtig und sichtlich bewegt hob der Italiener schließlich an: »Gut, Capitano. Wir passen auf dein Schiff auf. So lange, bis du es wiederhaben willst. Egal wann, ob übermorgen, in einem Jahr oder in dreißig Jahren. Und es wird immer offen sein für Katzen und Schreibende.«
Sie besiegelten den Pakt mit einer innigen Umarmung zu viert.
Samy ließ Jean als Letzte wieder los und sah ihn liebevoll an.
»Mein Lieblingsleser«, lächelte sie. »ich hätte mir keinen besseren vorstellen können als dich.«
Schließlich packten Max und Jean ihre Besitztümer in Max’ Seesack und ein paar große Einkaufstaschen und gingen von Bord. Perdu nahm außer der Kleidung noch sein angefangenes Werk mit, die Große
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