Das Leben dahinter (German Edition)
und setzten sich gespannt und sichtlich unentspannt auf die Plätze vor und neben ihm hin. Sie wussten nicht, worum es ging. Niemand hatte es ihnen erzählt. Nur dass die Schiffsführung etwas bekannt machen wollte. Wenn sie über den Inhalt Bescheid gewusst hätten, wäre die Kapazität der Messe gesprengt worden, ein wütender Mob würde vorm Eingang stehen und eine Erklärung für den Verlust dieser oder jener Person verlangen. So hatte es ihm Stein erzählt und es leuchtete Johannson ein. Dass sich die Leute allerdings denken konnten, aus welchem Grund sie hier waren, war deutlich zu spüren.
Zuerst rollte noch Gemurmel durch den Raum, doch als Stein sich neben Jason und zwei weiteren Offizieren an die Stirnseite stellte, schwoll die Unruhe langsam ab, und alle warteten gespannt darauf, was nun kommen würde. Steins Augen waren wieder zu Steins Augen geworden. Die Zügellosigkeit, die Begierde, das befreiende Nichts, in das sie letzte Nacht für einen Augenblick geflüchtet war, all das war wieder ihrer unnachahmlichen Ruhelosigkeit gewichen. Sie sah Johannson nicht einmal an.
„Meine Damen , meine Herren“, dröhnte Käpt’n Jasons Stimme durch den Raum. Er stand hinter einem kleinen Pult. „danke, dass Sie sich hier eingefunden haben.“
Johannsons Blick traf den Mann schräg vor sich. Er kam ihm bekannt vor. Johannson hatte ihn schon häufiger gesehen und Stein hatte auch bereits beiläufig über ihn gesprochen.
Finnman… Finsberg… So ähnlich hieß er jedenfalls und er hatte irgendwas mit Archäologie zu tun. Er war klein und schmächtig und hatte den Ausdruck eines Abenteurers im Gesicht. Doch nicht nur das. Das wirklich Bemerkenswerte an ihm war, dass er neben allen anderen Zuhörern, die da so aufgeregt mit den Füßen scharrten, die Ruhe selbst zu verbreiten schien. Er saß mit gekreuzten, von sich gestreckten Beinen auf seinem Stuhl. Er blickte an die Decke, nicht zu Jason. Schien zu träumen, nicht zuzuhören.
Was weiß dieser Typ?
„Wie sie sich sicherlich schon denken konnten“, fuhr Jason fort. „möchten wir Ihnen einen Überblick über die Informationen geben, die die Organisation vor dem Genozid – und ja, es war ein Genozid – gesammelt hat. Wir haben sie ausgewählt und dieses Statement nicht öffentlich gemacht, um das Schiff nicht zu beunruhigen.“
Ein Raunen ging durch die Reihen. Jason erhob seine Hände, um die Geräuschkulisse herunterzudrücken. Dann atmete er tief durch, als war er sich immer noch nicht sicher, ob er die Informationen wirklich preisgeben konnte.
Viele Jahre war ihm wahrscheinlich eingetrichtert worden, er müsse gewisse Angelegenheiten in einer Truhe verschließen und ganz hinten in seinem Kopf, im hintersten Teil seines Verstandes, in dem mit den Spinnenweben und der Schmutzwäsche, versteckt halten. Gehütet wie einen Schatz. Johannson verstand das. Die Organisation hatte Erfahrung darin, Druck auszuüben und schlechte Gewissen zu verpflanzen. Auch er hatte es ja bereits am eigenen Leib erfahren dürfen.
Es war meist ei ne Entscheidungsfrage des Einzelnen gewesen. Die übliche Entscheidung zwischen Gut und Böse. Und die PRO konnte sich sehr überzeugend als das Gute hinstellen, war sie doch der Heilsbringer gewesen, war der Retter, den jedermann nun mittelbar sein eigenes Leben schuldete.
Und jetzt, da sie fort war, fehlte ein Stück des Empfindens für das Gute. Der große Bruder war von ihnen gegangen. Die Sicherheit, die Familie war von ihnen gegangen. Sie waren die verlorenen Kinder dieser Galaxie geworden.
„Vor etwa dreißig Jahren“, begann er dann durch die Menschen im Raum hindurchsehend. Er klang wie der Märchenonkel von nebenan. „haben damalige Nettec-Leute des Konglomerats zufällig einige neue Cluster und Funktionen gefunden, die auf Knoten von verschiedensten, äußerst spezifischen Datenbanken zugriffen und sie kopierten. Die Cluster waren sehr einfach gestaltet und die ausgelesenen Daten umfassten lediglich Humananatomie und Humangeschichte – nichts Spannendes also. Aber sie wurden ohne direkte Anforderung aus dem Netz abgerufen, außerdem war es unklar, wer sie danach empfing. Es dauerte eine Weile, bis sie herausfanden, dass es sich nicht um irgendjemanden handelte, der sich einen Spaß mit dem Netz erlauben wollte. Es war das Netz selbst, dass scheinbar nicht auf Anfrage auslas, sondern aufs Geratewohl.“
Jason machte eine kurze Pause und blickte sich um. Niemand regte sich. Er legte seine Unterarme auf dem Podium ab
Weitere Kostenlose Bücher