Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
auch immer Spaß gemacht, aber am liebsten bin ich zu deinen Eislaufwettkämpfen gefahren. Es hat mir fast das Herz gebrochen, als du aufhören musstest.«
»Mir auch«, sagte ich.
»Manchmal denke ich an all das, was wir auch früher schon verloren haben«, sagte Mom. »Dein Eislaufen. Lucky, die Katze, die wir vor Horton hatten. Sogar an meine Eltern, die so früh gestorben sind. Vielleicht war es gut, dass wir vieles, was uns lieb war, schon damals verloren haben, damit wir es jetzt aushalten, auch noch den Rest zu verlieren.«
»Aber wir haben doch gar nicht alles verloren«, sagte ich und nahm ihr die Eimer ab. »Wir haben immer noch uns, das Haus und Horton.« Und einen überschwemmten Keller. Und Rückenschmerzen.
»Gab’s da nicht so eine griechische Sage?«, fragte ich, als ich das nächste Mal die Treppe runterkam. »Von einem, der das Meer mit dem Löffel ausschöpfen muss, und als er endlich fertig ist, regnet es vierzig Tage und Nächte lang?«
»Wenn nicht, müsste man die Geschichte erfinden«, sagte Mom. »Wie lange sind wir denn jetzt schon dran?«
»Zu lange«, sagte ich und sah auf die Uhr. »Über eine Stunde.«
Mom streckte sich wieder. »Ich hab vierzehn Stunden mit Matt in den Wehen gelegen. Das war schlimmer.«
Mir fiel ein, dass ich wahrscheinlich nie jemanden kennenlernen, mich verlieben, heiraten und Kinder kriegen würde. Erst recht nicht, wenn ich den Rest meines Lebens in diesem Keller verbringen musste, wo ich mich in nicht allzu ferner Zukunft in einen Pilz verwandeln würde. Hoffentlich in einen von der giftigen Sorte.
Ich weiß nicht, wie lange wir noch gearbeitet haben, bis mich die Erkenntnis traf: Mom wusste ganz genau, wie sinnlos das Ganze hier war, und es war ihr völlig egal. Für sie war es ein ausgezeichneter Vorwand, mich vom Rumfahren und Einbrechen abzuhalten. Der einzige Spaß, den ich seit Monaten gehabt hatte – und genau den wollte sie mir unbedingt verderben, und wenn sie mich dafür in den Keller sperren und stundenlang Wassereimer schleppen lassen musste.
Na gut, eingesperrt war ich nicht. Und sie schuftete auch mindestens so schwer wie ich. Trotzdem war es für sie die optimale Gelegenheit, mich in Sichtweite zu behalten.
Angesichts der Tatsache, dass ich am Tag zuvor erst wie eine Siebenjährige weggelaufen war, konnte man das vielleicht sogar verstehen. Aber ich war durchaus in der Lage, durch die Gegend zu fahren und Heizgeräte, Packungen mit Reis und halb verbrauchte Toilettenpapierrollen aufzutreiben.
Matt und Jon ließ sie ganze fünf Tage aus den Augen. Ich war fünf Stunden weg gewesen und musste dafür in den Keller.
Schon komisch. Ich schreibe das alles hier auf, weil ich es so empfunden habe. Und obwohl ich weiß, wie kindisch das war, habe ich trotzdem das Gefühl, als läge ich damit irgendwie richtig. Vielleicht nicht zu hundert Prozent, aber wenigstens zum Teil. Wenn es nicht der Keller gewesen wäre, hätte Mom garantiert irgendeine andere Arbeit im Haus für mich gefunden. Sie wollte mich in ihrer Nähe behalten. Der Keller kam ihr dafür gerade recht.
Wodurch meine Laune natürlich noch schlechter wurde. Aber ich nahm weiterhin die Eimer von ihr entgegen, schleppte sie die Treppe rauf und kippte sie oben aus dem Fenster. Das Weglaufen-wie-eine-Siebenjährige hatte ich schließlich gestern schon erledigt. Und es hatte mir nichts eingebracht als den Anblick eines Leichenbergs, den ich nicht mehr vergessen werde, bis ich selbst mal auf einem lande.
Irgendwann musste ich aber doch eine Pause einlegen. »Ich ruh mich ein paar Minuten aus«, sagte ich zu Mom. »Ich seh mal nach Horton. Und hol die Asche aus dem Ofen.«
»Ich bleib lieber«, sagte Mom. »Wenn ich jetzt hier weggehe, komm ich bestimmt nie wieder.«
Einen besseren Grund zum Weggehen konnte ich mir eigentlich kaum vorstellen, aber wenn Mom in dieser Stimmung ist, widerspricht man ihr besser nicht. Ich nahm die Eimer, leerte sie aus, stellte sie Mom wieder hin und sah dann nach Horton. Genauer gesagt nach seinem Futternapf. Ein paar Happen hatte er seit gestern Abend gefressen, aber sehr viel weniger, als mir lieb gewesen wäre.
Wo ich schon mal dabei war, machte ich auch gleich das Katzenklo sauber. Und den Ofen. Normalerweise sind das Jons Aufgaben. Auf den Aschehaufen war in den letzten Monaten eine Menge Schnee gefallen, und weil der jetzt fast ganz geschmolzen ist, hat sich die Asche in eine schmierige Pampe verwandelt. Für die Pflanzen drum herum ist das
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