Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
Syl«, sagte Matt. »Meine Frau.« Er grinste. »Klingt gut. Syl, meine Frau.«
»Deine Frau«, sagte Mom. Für sie klang das offensichtlich nicht halb so gut. »Matt, Jon, kommt rein. Miranda, nimm den Beutel und bring ihn in die Garage. Darum kümmern wir uns später.«
»Wir haben noch einen Sack«, sagte Jon. »Ich helf dir, Miranda.«
»Prima«, sagte ich, nahm ihm den Sack ab und ging schon mal vor. Jon holte den zweiten Beutel, der ebenso voll war wie der erste, und folgte mir zur Garage.
»Seine Frau?«, flüsterte ich. »Was soll das heißen? Wer ist das?«
»Wir waren in einem von diesen Motels«, sagte Jon, der es offenbar kaum erwarten konnte, mir alles zu erzählen. »In der zweiten Nacht. Da gibt’s überall verlassene Motels. Man sucht sich einfach ein Zimmer und übernachtet dort. Kennst du diese Zimmer, die eine Verbindungstür ins Nebenzimmer haben? Wir haben gehört, wie nebenan ein Mann ein Mädchen beschimpfte, und dann klang es so, als würde er sie schlagen. Daraufhin hat Matt die Tür eingetreten, sich vor das Mädchen gestellt und dem Typen gesagt, er soll gefälligst die Finger von ihr lassen.«
»Das hat Matt gesagt?«, fragte ich. »Und das Mädchen war Syl?«
Jon nickte. »Er hat sie zu uns rübergeholt, dann haben wir unsere Sachen gepackt und uns eine Etage höher ein anderes Zimmer gesucht. Der Kerl hätte uns natürlich finden können, aber es schien ihm völlig egal zu sein, dass wir Syl mitnehmen. Er hat nur gesagt, von ihm aus könnten wir sie geschenkt haben. Und das war wohl auch ernst gemeint, denn am nächsten Tag, als wir ihn am Fluss getroffen haben, hat er uns begrüßt wie alte Freunde. Syl schien keine Angst vor ihm zu haben, aber ich glaube, die ist sowieso nicht so leicht einzuschüchtern. Die nächste Nacht haben wir trotzdem in einem anderen Motel verbracht.« Er zögerte kurz. »Syl meinte, ich soll mir ein eigenes Zimmer suchen. Sie und Matt würden sich eins teilen. Das war Donnerstagnacht. Als wir dann gestern zum Fluss gingen, hat Matt gesagt, er und Syl hätten sich das Ja-Wort gegeben. Vor Gott wären sie jetzt Mann und Frau. Einer der Männer am Fluss, dessen Frau vor ein paar Monaten gestorben ist, hat Matt seinen Ehering geschenkt, damit er ihn Syl anstecken kann. Der ist aber viel zu groß und rutscht dauernd runter.«
»Mom wird ihn lynchen«, sagte ich. Jon nickte. »Das wird Matt nicht weiter stören. Der ist völlig durchgedreht. Alle sind völlig durchgedreht, Miranda. Es war toll am Fluss, weil da auch andere Leute waren, und wir haben über alles Mögliche geredet. Zum Beispiel, dass die NASA bestimmt schon daran arbeitet, wie man Pflanzen auch ohne Sonnenlicht ziehen kann, damit es wieder zu essen gibt. Aber man merkte sofort, dass die alle nur rumspinnen. Und jedes Mal, wenn einer einen Fisch gefangen hat, haben alle gesungen und getanzt, als hätte der Angler im Lotto gewonnen.«
»Magst du sie?«, fragte ich.
»Ich glaub schon«, antwortete Jon. »Sie hört einem zu, als würde sie’s wirklich interessieren. Das macht sie bei allen so. Auf der Rückfahrt haben wir uns unterhalten. Sie ist bei Matt mitgefahren. Der hat die ganze Zeit gesungen und gepfiffen, aber Syl und ich haben gequatscht. Ich hab ihr von dir erzählt, von Mom und Dad und Lisa und Horton. Über Baseball haben wir auch gesprochen, aber davon hat sie keine Ahnung.«
Mir war klar, dass wir bald wieder reingehen sollten, aber ich hatte noch so viele Fragen. »Wo kommt sie her?«, fragte ich. »Hat sie dir irgendwas erzählt?«
Jon schüttelte den Kopf. »Die meiste Zeit hab ich geredet. Aber Matt hat sie es bestimmt erzählt. Er hätte sie wohl kaum geheiratet, ohne sie etwas besser zu kennen.«
Meiner Meinung nach war es nicht ganz das Gleiche, sich in einem Motelzimmer das Ja-Wort zu geben und wirklich verheiratet zu sein – aber Matt sah das offenbar anders. »Wir müssen jetzt wieder rein«, flüsterte ich. »Bevor Mom die Scheidung der beiden verkündet.«
Jon lachte nervös. Wahrscheinlich hatte er das auch schon die ganze Zeit gedacht.
»Da seid ihr ja«, sagte Mom, als wir wieder reinkamen. »Wir unterhalten uns gerade ein bisschen. Syl ist ja ein interessanter Name. Ist das eine Abkürzung?«
»Das ist nicht mein richtiger Name«, sagte Syl. »Syl steht für Sylvia Plath, die Dichterin.«
»Ich weiß, wer Sylvia Plath ist«, sagte Mom.
Ich sah mir Syl etwas genauer an und konnte verstehen, warum Matt sich in sie verliebt hatte.
Sie sieht einfach super
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