Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
fressen will, wird er das tun.
24. Mai
Wir haben den ganzen Tag den Keller leer geschöpft, Eimer für Eimer. Dann gab es zum ersten Mal seit Wochen wieder Strom, und Matt hat die Tauchpumpe in Gang gebracht.
Mom führte sich auf, als wäre Ostern und Weihnachten zugleich. Ich bin überrascht, dass sie nicht angefangen hat zu singen.
25. Mai
Matt und Jon hacken wieder Holz. Damit ist mein Schuljahr offiziell beendet.
Mit Romeo und Julia hat es kein gutes Ende genommen.
26. Mai
Jetzt haben wir schon den dritten Tag hintereinander Strom. Und immer gleich mehrere Stunden lang. Sogar heute Nacht ging er noch mal für längere Zeit an.
Der Fernseher hat keinen Empfang mehr und die Nachrichten im Radio sind weiterhin schlecht. Mom ordnete trotzdem einen Frühjahrsputz an. Und mit dem haben wir – Mom, Syl und ich – dann auch den ganzen Tag verbracht. Die Kerle haben Holz gehackt. Die Frauen gesaugt und geschrubbt.
Matt kam ziemlich erschöpft nach Hause. Als er sah, wie sauber alles war, hellte sich seine Miene auf. »Syl, du bist wirklich die Beste«, sagte er.
Syl hat nicht weniger geschuftet als Mom und ich. Aber auch nicht mehr.
Manchmal könnte ich ihn umbringen.
27. Mai
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal gute Laune hatte. Ich habe das Gefühl, als würde ich immer nur jammern, nörgeln und mich selbst bemitleiden.
Nachdem wir das Haus auf Hochglanz gebracht haben und Romeo und Julia endgültig tot sind, habe ich Mom mitgeteilt, ich würde noch mal auf Häuserjagd gehen. Ich glaube, sie war ganz froh, mich eine Weile loszuwerden. Jedenfalls hatte sie keine Einwände.
»Ich geh mit«, sagte Syl, was nicht so ganz meinen Plänen entsprach. »Willst du auch mitkommen, Laura?«
Gott sei Dank verneinte Mom. »Aber schaut doch mal, ob ihr noch ein paar Bücher für mich findet«, meinte sie stattdessen.
Ich hatte keine Lust, mit Syl zusammen Häuser zu plündern. Ich wollte allein sein. Doch während ich noch überlegte, wie ich ihr das taktvoll beibringen könnte, sagte sie auch schon: »Wir sollten uns lieber aufteilen. Um zwölf treffen wir uns wieder hier.«
»Findest du denn auch allein zurück?«, fragte ich. Matt würde mich umbringen, wenn ich Syl aus den Augen ließ und sie auf Nimmerwiedersehen verschwand.
»Ich habe mich noch nie verirrt«, sagte Syl. »Ich komm schon zurecht, keine Sorge.«
Ich dachte daran, wie ich mich neulich verfahren hatte, obwohl ich in dieser Gegend aufgewachsen bin. Aber Syl war ja eine reife, erfahrene Ehefrau und ich bloß die dumme, kleine Schwägerin. Außerdem musste ich wirklich mal ein bisschen allein sein. »Gut«, sagte ich. »Dann bis später.«
Wir fuhren zusammen bis zur Schiller Road. Dort bog sie links ab. Ich radelte weiter die Howell Bridge Road hinunter und bog dann nach rechts in die Penn Avenue. Da stehen viele schöne Häuser. Eine sehr belesene Gegend.
Ich finde Einbrechen immer noch toll. Und bei der Aussicht zu begutachten, wie die reicheren Leute von Howell gewohnt hatten, bekam ich fast schon gute Laune. Nicht, dass ich viel Brauchbares gefunden hätte – schließlich mussten auch schon alle anderen auf die Idee gekommen sein, dass hier was zu holen war.
Immerhin fand ich noch ein paar Bücher für Mom, ein weiteres Heizgerät und, großartig, zwei Paar Jeans, noch mit Preisschild, in einer Größe, in die ich früher nie reingepasst hätte. Ich probierte eine an. Sie war mir ein bisschen zu weit (Fisch hat wohl nicht so viele Kalorien), aber sonst okay. Syl wog sogar noch weniger als ich, aber mit einem Gürtel würde die andere Jeans bestimmt bei ihr halten. Ich wusste, dass sie etwas Neues zum Anziehen gebrauchen konnte.
Außerdem steckte ich auch noch einen ›Meeresbrise‹-Duftspender ein. Seit es tagsüber so um die zehn Grad wird, lüftet Mom regelmäßig durch. Trotzdem riecht alles nach Fisch. Der Duftspender und eine kleine Schachtel Aspirin waren meine besten Funde.
Um das Gewicht gleichmäßiger zu verteilen, hängte ich eine Tasche an jedes Lenkerende und machte mich auf den Rückweg zum Treffpunkt. Meine Laune war so gut wie schon lange nicht mehr. Ich malte mir aus, wie Syl sich über die neue Jeans freuen und Matt mir für meine Großzügigkeit danken würde, wie Mom die Bücher, die ich gefunden hatte, verschlingen würde und wie Jon … na ja, wie Jon sich als heimlicher Fan von ›Meeresbrise‹-Aroma entpuppen würde. Okay, es war wohl nicht zu erwarten, dass Jon sich über eines meiner
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