Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
den Saft, sie prosten sich zu.
»Auf dich, endlich hast du mal wieder hier hergefunden!«
»Auf meine Traumfrau, auf ihren Charme und ihre Schönheit!«
Mama hat mir verboten, Jean erneut nach Kindern zu fragen. In seinem Fall sei es besser, keine zu haben. Ob ich gleichwohl frage? Ich glaube, es langweilt Mama nämlich, dass er so lange von einem Burckhardt redet. Jedenfalls fragt sie eher ungeduldig, weshalb denn ein Historiker einen Friedenspreis erhalte. Bevor er antwortet, wechselt sie das Thema: »Wie geht’s mit Hedwig?«
»Nun«, Jean gießt sich nachdenklich einen gehörigen Schluck Whisky ins Glas, »ihre Eifersucht nimmt allmählich krankhafte Züge an, sie …«
Als es spannend wird, schickt mich Mama aus dem Salon, »und schließ bitte die Tür, Schazzji!«
Ich bin erleichtert, dass Jean zum Abendessen bei uns bleibt. So wird die Fischrute nicht mehr erwähnt und auch meine Lüge nicht. Koni ist nämlich zurück, dem habe ich vom Ganzen gar nichts gesagt. Hoffentlich diskutieren sie noch lange über die Russen, dann vergisst Papa alles Übrige. Obwohl Jean viel jünger als Papa ist, bekommt er schon graue Haare. Mama sagt zwar, graue Schläfen machen einen Mann attraktiv, aber mir hat er früher besser gefallen.
»Du, warum bringst du nie deine Frau mit?«
Mamas Blick heißt mich zu schweigen. Jean hat meine Frage sowieso überhört. Papa hält die leere Weinflasche in die Höhe und schaut aufmunternd zu Anton. »Nochmals genau dieselbe! Wenn du bei der Kellertür reinkommst, gleich rechts im zweiten Gestell, ungefähr Schulterhöhe …«
»Auf die Abwehr dieses gottlosen Saupacks!«
Während die Gläser klingen, frage ich Anton, vom wem die Großen reden.
»He, von den Kommunisten«, sagt er so naseweis, dass es mich reut, gefragt zu haben.
Zum Gutenachtsagen kommt heute ausnahmsweise Papa hoch. Bei den Buben drüben hält er nur kurz den Kopf zur Tür hinein. Bei mir setzt er sich auf den Bettrand und fragt, wann ich nächsten Donnerstag die Schule aus hätte.
»Fein, dann gehen wir um vier zusammen an die Alte Aare fischen und weihen meine neue Rute ein!«
Ich gebe ihm ein Munzi. Oh, dass er noch ein bisschen hier bliebe!
»Papa, was ist das, die Kommunisten?«
»Das sind Proletarier, die die bürgerliche Gesellschaft hassen.«
»Hassen sie auch Gott?«
»Ja, sie haben ihn sogar verboten.«
»Alle drei?«
»Wie, alle drei?«
»Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiliger Geist.«
»Klar, das ist ja nur einer.«
»Und was sind die Prolarier?«
»Proletarier! Das sind besitzlose Arbeiter. Aber ich kann jetzt nicht länger hierbleiben, Fred will heim, ich muss wieder hinunter.«
IV
Unser Dienstmädchen ist keine Italienerin mehr. Großpapa ist bei seinem letzten Besuch dazugekommen, als Anna und ich uns stritten: Sie ohrfeigte mich, weil ich mich gewehrt hatte, nur wegen ihrer blöden Maggiwürfel noch ins
Konsum
zu gehen. Großpapa wünschte, dass sie sofort entlassen werde. Nun ist Ursel bei uns. Sie kommt aus Bayern, hat krauses Haar und hellblaue Augen, ich höre sie gerne reden. Mama sagt, sie sprudelt ununterbrochen und muss noch lernen zuzuhören. Als erstes bringt sie Ursel bei, wie man im Wallis kocht. Mama braucht viel Geduld, weil Ursel immer anderes im Kopf hat. Sie versucht es nun mit einem Wochenplan, und unsere Schulstundenpläne kleben an der Innenseite des vorderen Küchenschranks. Da Mama sowieso selten zuhause ist, putzt, wäscht und bügelt Ursel jedoch nach ihrem eigenen Gutdünken.
Papa lässt sich ein Herrenzimmer anbauen. Wenn alle weg sind, gehe ich mit meiner Blockflöte in den Rohbau, übe ein bisschen und danach singe ich Schlager. Ich kann jetzt auch
Es hängt ein Halfter an der Wand
. Das ist Papas Lieblingslied. Wenn er mal stirbt, soll ich ihm das singen. Aber Mama sagt, ich müsse aufhören, so dumme Sachen zu erzählen. Im Rohbau klingt meine Stimme anders als im Wald. Wenn ich bloß wüsste, wie man eine Sängerin wird!
Beim Samstagabendbad will Anton schon wieder nicht da sitzen, wo die Wand steil ist und sich der Ablauf befindet.
»Wenn ihr weiterstreitet, gibt es keinen Schaum«, warnt Mama. Zum Abtrocknen ziehen Anton und ich nacheinander hinter dem Duschvorhang unsere Badeanzüge aus und den Pyjama an. Bevor Mama Koni die Hose hochzieht, kann ich noch schnell einen Blick zwischen seine Beine werfen. Aber wieder habe ich nicht genau gesehen, wie das dort aussieht. Koni darf rücklings auf dem großen Frottiertuch liegen. Mama hebt ihn mit
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