Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
Vom Netzwerk:
Eltern kommen, er es bitte deshalb nicht schneien lassen soll.
    Und heute Morgen scheint die Sonne!
    Im ärmellosen Pulli spielen Tanta Helen und Tanta Bethli Boccia mit mir. Bevor wir zur Station aufbrechen, sagen sie etwas, was ich fast nicht glauben kann: Wenn ich möchte, darf ich sie beim Vornamen nennen! Einfach den Namen ohne Tanta davor – als wären wir Freundinnen. Und ob ich will! Kaum sind Mama und Papa aus der Luftseilbahn gestiegen, verrate ich ihnen das mit ohne Tanta, und dass auch Onkel Arthur übers Wochenende hier ist und dass es am Abend draußen am Steintisch Raclettes gibt und dass Anton und Großpapa immer so geheimnisvoll tun und …
    »Schazzji, nun lass die anderen auch mal zu Wort kommen!«
    Zur Feier des Tages dürfen wir aufbleiben, solange wir wollen. Doch wie die Erwachsenen zu jassen beginnen, gehen wir freiwillig ins Bett.
    Noch sind alle beim Sonntagsfrühstück, da bricht Großpapa mit meinem Bruder auf. Anton hat Hut und Stock für ihn schon in den Händen.
    »Papa, Sie sind reichlich früh, die Messe beginnt erst um zehn!«
    Die beiden schmunzeln bloß.
    Als auch wir in die Kapelle kommen, merken wir, weshalb sie so geheimnisvoll taten: Anton ist Ministrant! Das weiße Gewand mit dem roten Filzkragen ist ihm allerdings zu lang, hoffentlich stolpert er deswegen nicht übern Altarabsatz. Nun schellt Anton mit dem Glöcklein.
    Mama nickt mir mit einem stolzen Lächeln zu. Und auch Papa ist heute sehr gerne der Papa vom Anton! Nachdem Anton als Erster den Heiland auf die Zunge gelegt bekommt, kniet er nieder, verdeckt das Gesicht mit seinen Händen und hört, was Gott ihm zu sagen hat. Die meisten Erwachsenen gehen in den Mittelgang, langsam rücken sie zu Pater Herder vor. Tanta Helen und Tanta Bethli sind nicht in der Reihe der Kommunizierenden.
    »Wo sind sie«, frage ich Mama, nachdem sie wieder neben mir ist.
    »Vielleicht schon zurück ins Chalet«, flüstert sie.
    »Darf man das, die Kirche vorzeitig verlassen?«
    »Psst!«
    Nach der Messe gehe ich mit Anton und Großpapa ins Büro des Hotels, um das Opfergeld zu zählen. Heute ist eine Fünfernote dabei!
    »Die kommt sicher vom besten Katholiken, gell Großpapa.«
    Er sieht mich verständnislos an. »Reich sein heißt noch lange nicht ein guter Katholik zu sein. Im Gegenteil, Reichtum kann ein Herz schneller hart machen als kochendes Wasser ein Ei. Auf die immateriellen Opfer kommt es an! Auf Erden …«
    »Ich weiß«, sage ich stolz, »was immateriell heißt, du kannst es weder sehen noch anlangen!«
    Großpapas Blick bestraft mich fürs Dreinreden.
    Seine Sonntage verbringt Pater Herder stets bei uns. Er spricht ein schönes Hochdeutsch und ist Großpapas Freund, meistens machen sie zusammen »Exegese«. Ich denke, das ist ein Spiel nur für Männer; die Tür zum Rauchersalon bleibt dann immer zu, und stören darf niemand.
    Bis die Tanten das Essen bereit haben, messen sich die Erwachsenen im Boccia-Spielen, Onkel Arthur, Mama und Papa gegen Pater Herder und Großpapa. Ich und Anton binden unterdessen einer Geiß eine Schnur um den Hals, um sie an einen Baum zu binden.
    »Ihr dürft sie nicht melken«, ruft Onkel Arthur, und Mama ruft: »Ach lass sie doch, sie können es sowieso nicht.«
    Vor dem Essen gehen ich und Anton mit den beiden Kehrichtsäcken noch zu den Felsen. Weil Anton beim Werfen ausglitscht, landet mein Sack viel weiter unten als seiner.
    Kaum hat der Pater nach dem Tischgebet das Gespräch eröffnet, loben alle den neuen Messdiener. »Der Botsch«, betont Großpapa, »het z Latin sofort intus kä«, er sei sehr intelligent, aus ihm werde dereinst wohl ebenfalls ein Jurist.
    »Darf ich auch Messdiener werden?«
    Die Großen lachen, »äch wa, das ist nichts für Mädchen!«
    Obwohl gute Manieren aus lauter kleinen Opfern bestehen, lehnt Pater Herder das letzte Stück Roulade nicht ab. Als er damit fertig ist, nehme ich alle Courage zusammen: »Isst man bei der Kommunion eigentlich Gott Vater oder Gott Sohn oder Gott Heiliger Geist?«
    »Nun, Kleene, die Heilige Hostie ist der Leib Christi.«
    »Aber es gibt doch drei, ist Christi …«
    »Schazzji«, mahnt Mama, »lass den Pater jetzt in Ruhe sein Schnäpschen trinken, wenn du mal selber die Erste Kommunion bekommen hast, wirst du das alles auch besser verstehen.«
Onkel Valentin macht Modenschau
    Ich sei für Großpapa zu wild, sagen die Eltern. Sie bringen mich auf ihrer Heimfahrt deshalb zu Tanta Iris und Onkel Valentin nach Sieders. Drei Wochen soll ich

Weitere Kostenlose Bücher