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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Antwort. Beim Birchiwald machen sich die mutigsten Buben davon. Mich lässt die alte Arbeitsschullehrerin nicht aus den Augen. Seit ich bei ihr in Hosen erschienen bin, hat sie mich auf der Latte.
    »Heimgeschickt hat sie mich, diese blöde Kuh! Weißt du noch?«
    »Wenn sie nur mich nicht heimschickt!«
    Ich versuche Kläris Angst, die auch die meine ist, herunterzuspielen. »Das tut sie nicht, sonst hätte sie es längst getan. Sie weiß ja, dass du reformiert …«
    »Psst, ihr beiden!«
    Der Blick der Arbeitsschullehrerin ist so gehässig – uns wird bange.
    Nach der Prozession kommt Kläri zu uns zum Mittagessen. Ich verrate ihr, was es gibt: »Nockerl! Ursel macht die herrlich. Weil meine Eltern weg sind, werden wir halt bei ihr in der Küche essen, gell.«
    »Wo denn sonst?«
    Ursel ist nicht zuhause. Und nichts ist parat. Ursel bleibt unauffindbar. Nach langem Hin und Her gehen wir zu Schmids, wo auch Konrad ist. Sie haben bereits gegessen.
    »Das macht nichts«, sagt Tanti, »wir haben noch Teigwaren übrig, damit kann ich euch ein feines Gratin machen, spielt unterdessen ein
Eile mit Weile

    Herr Schmid besteht darauf, uns nach dem Essen heimzubegleiten. Ursel ist mittlerweile wieder da. Obwohl Herr Schmid erleichtert scheint, macht er ihr große Vorwürfe.
    »Bitte nix den Oitern sang«, bittet Ursel uns, kaum sind Kläri und Herr Schmid weg.
Das schöne Gefühl ist unkeusch
    Meine Grippe ist nicht schlimm. Ich kann bei offener Tür im Elternbett sein und hören und sehen, was im Haus so geschieht. Am Nachmittag holt sich Mama das Malzeug ins Schlafzimmer. Sie malt am Fenstertisch ein Geschenk für Papa, einen Aschenbecher mit Blitz darauf, dazu erzählt sie mir den
Sissi
-Film zu Ende.
    »Weißt du noch einen anderen Film, Mama? Oder erzähl mir doch das von Johnny und Linda im Stadttheater …«
    »
Johnny Belinda
, Schazzji, aber das ist nichts für Kinder.«
    Wie es mir langweilig wird, halte ich die Hände zwischen die Beine und presse die Schenkel gegeneinander. Das gibt ein gutes Gefühl! Mit dem Duvet dazwischen lässt es sich noch verstärken …
    »Hör sofort damit auf!«
    »Warum? Das ist schön!«
    Mama ist aufgestanden und steht nun mit erhobenem Zeigefinger vor dem Bett. »Wenn du das weiter tust, kriegst du Ekzeme! Zudem ist es unkeusch!«
    Sie setzt sich wieder an den Tisch und malt wortlos weiter. Jetzt habe ich ihr die gute Laune verdorben. Und mir selbst auch. Nur noch Schlimmes kommt mir in den Sinn. »Du, Mama, müssen wir vor einer Atombombe eigentlich Angst haben?«
    »Ja, natürlich.«
    »Können denn die Russen eine Atombombe auf uns schießen?«
    »Äch wa! Die Schweiz ist neutral, unserem Land ist auch im Zweiten Weltkrieg nichts passiert.«
    »Was ist neutral?«
    »Man hilft weder dem Schwachen noch dem Starken, man mischt sich nicht ein.«
    »Aber du sagst doch immer, man soll den Schwachen helfen?«
    »Selbstverständlich, im täglichen Leben schon. In der Politik ist das etwas anderes.«
    Bei meiner nächsten Beichte sage ich beim Sechsten Gebot:
    »Ich habe Unkeusches angerührt.«
    »Du musst sagen, ich habe beim Berühren unkeusche Gedanken gehabt«, flüstert der Pfarrer durchs Gitter.
    »Das habe ich aber nicht, es hat mir einfach gefallen …«
    »Genau das ist eben die Sünde! Du musst Gott versprechen, es nie mehr zu tun.«
    »Ja, Hochwürden.«
    »Noch andere Sünden?«
    »Ich habe ein paarmal gelogen. Viermal. Oder fünf, vielleicht sieben oder so …«
    Der Beichtvater trägt mir zur Buße zehn »Gegrüßetseistdumaria« auf. Die keusche Muttergottes soll mir ein Beispiel sein; »und jetzt gehe hin und sündige nicht mehr! Gelobt sei Jesus Christus.«
    »In Ewigkeit Amen.«
    Vor den Abendnachrichten blättert Papa die Zeitung durch. Als ihm Mama etwas über eine Sünderin sagt, horche ich auf. Doch es geht nicht um mich, nur um einen Film. Mama möchte ins Kino.
    »Du weißt, dass ich lieber ins Theater gehe.«
    »Ja, vor allem dein
Romulus der Große
und so Zeug.«
    »Es ist doch hintergründig und amüsant gewesen!«
    Mamas Gesichtsausdruck zeigt keine Zustimmung.
    »Wofür haben wir uns eigentlich einen Fernsehapparat angeschafft, wenn wir gleichwohl immer ins Kino springen müssen!?«
    Mama legt ihre Hand auf Papas Schulter, »Schpazzji, die Knef gefällt dir doch auch?«
    Am Morgen frage ich Mama als erstes, wie der Film gewesen ist. Sie schmunzelt und wiegt den Kopf unentschlossen hin und her. »Was euch mehr interessieren dürfte«, sagt sie, »der

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