Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
schwimmen im Wasser?«
»Nägeliblumen?«
»Rossnägel!«
Nicht bloß die leichten Fragen werden von den Buben zuerst beantwortet, auch die schweren wissen sie vor uns.
»Dasch bschisse«, rufe ich erbost, »die Buben haben den Pestalozzikalender doch auch!«
»Und kennen die Antworten, klar«, sagt Antonetta, die beim Rätselraten sonst die Schnellste ist.
Mama muss ans Telefon. Die Buben sind so sehr mit ihren Preisen beschäftigt, dass ich meinen Freundinnen die restlichen Antworten verraten kann. »Aber nicht zu auffällig«, warne ich sie, bevor es weitergeht.
»Welche Steine kommen in der Aare am meisten vor?«
»Nasse«, schreit Gerda noch vor Ruedi, und das ärgert ihn bestimmt, ist er doch noch immer in sie verknallt. Die Antworten auf die nächsten Fragen werden uns Mädchen gutgeschrieben. Ich bin froh, dass Margrit als Ärmste unserer Klasse einen besonders schönen Preis erhält.
Am Schluss des Nachmittags bedankt und verabschiedet sich Antonetta höflich von allen. Mama findet, wir sollen uns an ihr ein Beispiel nehmen.
»Ihr Vater ist nur ein Muratore, er arbeitet im Baugeschäft von Gerdas Eltern«, erkläre ich ihr.
»Umso schöner, dass ein Kind aus einfachen Kreisen so vorbildlich erzogen ist«, sagt sie.
Nachdem alle gegangen sind, kann ich endlich den Zettel lesen: »Der Übelhart hat meinen Namen das erste Mal auch so geschrieben wie du. Schöne Ferien wünscht dir Emil.«
Papa hat sein kleines Stück Kuchen, das wir ihm weggelegt haben, sofort verschlungen. Nun schmachtet er nach mehr und will trotzdem nichts mehr essen. »Noch ein halbes Kilo muss weg!« Seit vielen Tagen sagt er das. Wir lenken ihn mit ein paar Scherzfragen ab: »Welcher Pelz ist kein Pelz?«
»Der von Jacqueline.«
»Nein, im Ernst«, mahnt ihn Mama.
»Ich meine es ja ernst, René hat es mir verraten.«
»Dann kann er ihr ja den echten von seiner Geliebten geben.«
»Mama, bitte, können wir jetzt weitermachen! Also Papa, nochmal: Welcher Pelz ist kein Pelz?«
Er hebt die Schultern.
»He, der Faulpelz!«
Als Nächster darf Koni fragen: »Und welches sind die friedlichsten Köpfe?«
»Die Walliser«, sagt Papa und lacht.
»Nein, die Glatzköpfe!«
»Die Glatzköpfe?«
»He ja, die können sich nicht in die Haare geraten!«
Mama greift mit gespreizten Fingern in Papas Locken, »dü Schpazzji bist natürlich die Ausnahme … fast immer jedenfalls.«
Sicherheitshalber gehe ich am Samstag vor unserer großen Reise beichten.
Da ich nach dem Segen im Beichthäuschen knien bleibe, räuspert sich der Vikar. »Deine Sünden sind vergeben, du kannst gehen.«
»Alle Sünden?«
»Ja.«
»Und wenn wir in den Ferien einen Unfall hätten und ich sterben würde, käme ich dann direkt, ich meine ohne Fegefeuer, ins Paradies?«
»Nein, das nicht. Ein Rest von Schuld bleibt immer, und da nichts Unreines in den Himmel darf, muss jeder eine gewisse
Zeit der Läuterung durchmachen.«
»Was passiert eigentlich mit einem Bébé, das ohne Taufe stirbt?«
»Es kommt in den Vorhimmel.«
»Für immer nur in den Vorhimmel?«
»Das ist ja nicht die Hölle. Und jetzt gehe hin in Frieden. Andere wollen auch noch beichten.«
Es ist stockdunkle Nacht, als wir losfahren. Achthundertsiebenundzwanzig Kilometer wird Mama am Steuer sein, Anton hat das auf einer Straßenkarte zusammengezählt. »Mach immer eine Pause, wenn du müde bist, gell!«
Papa steht barfuß im Pyjama in der Garagenausfahrt und wiederholt ausserdem, Mama solle vorsichtig fahren. Blitz bellt trotz Papas Schimpfen unbeirrt weiter.
»Nach den Ferien werdet ihr ihn nicht wiedererkennen«, verspricht Papa. Er bringt ihn morgen zu einem Mann, der schwierige Hunde erziehen kann.
Wir sind schon fast den ganzen Gotthard hinuntergefahren, da ruft Anton, »halt an, Mama, halt an!« Er tupft ungeduldig auf ihre Schulter, »ich hab etwas Komisches gehört!«
Tatsächlich: Papas Klappbett liegt dort hinten mitten auf der Straße, und der Gepäckträger ist bedrohlich schräg gegen die Frontscheibe gerutscht!
»Was ist los«, fragt Konrad schläfrig.
Mama schaltet den Motor aus. Während Anton das Bett auf die Seite zieht, stellt sie sich an den Straßenrand. Großmama gibt Koni und mir ein Himbeerbonbon. Schon bald kommt ein Lastwagen. Der Fahrer steigt aus, grüßt freundlich, geht um unser Auto herum und prüft die Sachlage. Er fixiert das Gepäck mit einem Seil. Dankbar offeriert ihm Mama unseren warmen Tee.
»Es ist wirklich nur notdürftig geflickt«, warnt
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