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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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gehabt.«
    »Hast du das Foto gemacht?«
    »Das ist kein Foto, ich habe das gemalt, das heißt, ich habe ein Foto von ihr mit Kohlestift abgezeichnet und ihr das Bild zu unserer ersten gemeinsamen Weihnacht geschenkt. Seht ihr das Kreuz, das Mama am Hals trägt? Das habe ich für sie geschmiedet – das ist das eigentliche Geschenk gewesen.«
    »Wie hast du denn das Kreuz gemacht?«
    »Im Labor meines Zahntechnikers, der hat die nötigen Dinge dazu gehabt.«
    »Hast du das wirklich gemalt? Warum hängen wir das Bild nicht auf?«
    »Tempi passati, meine Lieben. Alles zu seiner Zeit. Aber vielleicht ist es besser, wenn wir es in etwas einwickeln. Holt doch bitte ein Leintuch aus dem Wäscheschrank.«
    Papa betrachtet nachdenklich sein Werk.
    »Und jetzt macht endlich vorwärts«, sagt er mit einem Mal ungeduldig, »schließlich sind wir hier, um die Bébésachen zu versorgen.«
    Kaum haben wir fertiggegessen, schickt uns Papa ins Bett. Er selbst geht ins Herrenzimmer. Unter der Tür wendet er sich uns nochmals zu. Wir müssen künftig zu Mama doppelt lieb sein, sagt er. Ja, das werden wir!
    Unser Schwesterchen heißt Rosmarie, der Name steht auf dem Holzkreuz. Der weiße Sarg ist ganz klein und schön verziert. Der Pfarrer redet lange und auch lateinisch. Mama weint.
    »Warum bloß«, fragt sie.
    »Gott weiß warum«, sagt der Pfarrer.
    »Rosmarie wäre eine Verbrecherin geworden, deshalb ist es besser, dass sie gestorben ist«, erkläre ich denen, die mich ausfragen, und füge gleich hinzu: »Nun ad acta gelegt!« Das verstehen sie nicht, das lässt sie verstummen. Den Ausdruck hat Papa zwar nicht im Zusammenhang mit Rosmaries Tod gebraucht. Doch ich merke schon, wie es gemeint ist: Wenn wir nicht mehr davon reden, wird es bald so sein, als habe es Rosmarie nie gegeben.
    Mama versucht, das Kindlein beim Tennis zu vergessen, sie trainiert fleißig für die kantonalen Meisterschaften.
Österreicherinnen machen nichts als Probleme
    Gerlinde ist die große Porzellanplatte mit dem Blumenmuster aus den Händen gerutscht. Wochenlang hat Mama daran gemalt, vor den Scherben auf dem Küchenboden sind ihr fast die Tränen gekommen. Beim Nachtessen erzählt sie es Papa. »Ich habe Gerlinde ermahnt, künftig bei so wertvollen Dingen besser aufzupassen. Und weißt du, was die antwortete? Wenn man nichts anfasse, könne einem auch nichts zu Boden fallen!«
    Papa findet, ganz so unrecht habe Gerlinde ja nicht. Aber dann einigen sie sich darauf, dass eine solche Antwort einem Dienstmädchen nicht zustehe.
    Schon bald ist Gerlinde beim Znacht wieder das Thema. Der Verlobte wünscht, dass seine Braut im Keller nicht mehr die Kohle in den Ofen schaufeln muss.
    »Soll ich etwa die Dienstmädchenpflicht übernehmen?!« Mama sieht ratlos zu Papa.
    »So weit kommt es noch! Schick diesen Wichtigtuer das nächste Mal zu mir, wenn er wieder meint, er müsse uns vorschreiben, was en Jungfröi z tüe het!« Papa ist entrüstet.
    Weil am Tisch jetzt niemand mehr etwas sagt, frage ich, was »Dewo« heißt.
    »Meinst du Demo?«
    »Nein, unser neuer Schüler heißt so, Emil Dewo. Und der Lehrer hat gesagt, er solle seinem Namen Ehre machen.«
    »Aha, du meinst den Namen. Der kommt vom Lateinischen devot und heißt unterwürfig, ergeben, fromm; ein devoter Kerl kennt die Rangordnung. Ja, die sollten wir Gerlindes Verlobten noch beibringen!«
    »Aber der Emil ist überhaupt nicht unterwürfig. Er hat Herrn Übelhart gleich heute Morgen schon auf die Palme gebracht, weil er das letzte Wort haben wollte.«
    Papa hört nur mit halbem Ohr zu. Er stößt mit seinem Weinglas an Mamas Wasserglas. »Auf unsere kantonale Meisterin, deren Hand ans Racket und sicher nicht an die Kohleschaufel gehört!«
    »Noch bin ich’s nicht«, wehrt Mama ab.
    »Du wirst deinem Namen am nächsten Sonntag hoffentlich alle Ehre machen!«
    Es ist gemein, dass meine Freundinnen die Freude an Mamas Erfolg nicht teilen, keine von ihnen will mit zum Match kommen, dabei hätte Onkel Fred in seinem Auto noch für mindestens zwei Mädchen Platz.
    So sitze ich denn als einziges Kind auf der Zuschauerbank zwischen den Bekannten unserer Eltern. Nicht mal Papa ist hier; derart wichtige Spiele regen ihn zu sehr auf. Frau Brückner klatscht zünftig mit, wenn Mama tolle Bälle gelingen.
    »Schau!« Onkel Fred zeigt auf den Parkplatz. Da steht Papas Wagen. Aber Papa steigt nicht aus, er schaut dem Match bloß durchs Fenster zu.
    Noch drei so gute Spiele, dann hat sie auch den zweiten Satz

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