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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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wanderte, stieg über das Haus. Schatten zogen ins Zimmer. Der Wecker tickte. Im Haus erschallte eine Stimme. Ein Mann brüllte, ein Kind rief die Eltern. Ein Hund schlug an, jaulte. Türen fielen insSchloss. Telefone läuteten. Radio spielte Musik, sendete Nachrichten. Werbejingles. Die Türglocke schrillte. Jemand lachte. Schwere Autos rumpelten vorbei, ihr Geräusch verklang in der Ferne. Ein Vogel krächzte. Eine alte Frau hustete: krank. Flaschen landeten klirrend in einem Container. Ein Auto sprang nicht an. Stille. Nichts.
     
    Als er wieder Stoffliches unter sich und um sich wahrnahm, als er wieder auf dem Bett lag, war ihm, als sei er verstoßen worden. Er betrachtete die Zimmerdecke. Schloss die Augen. Atmete flach.
    Er stand auf, seine Beine zitterten. Er musste sich wieder setzen. Er roch sich so intensiv wie noch nie, einen Geruch von Schweiß, eine eigene Note, er, unverwechselbar. Töne hörte er genau und rein. Er sah Farbnuancen, die ihm zuvor unbekannt gewesen waren. Fasziniert von der Vielfältigkeit seiner Form, zerknüllte er ein Stück Papier in den Händen.
    Nach einer Weile versuchte er es noch einmal. Ihn schwindelte, doch es schien zu gehen. Er summte vor sich hin, rief etwas. Er hatte Mühe, seine Stimme zu erkennen.
    Vor der Tür stand ein Blumenstock mit einer Karte von Joey. Jonas lehnte sich gegen die Wand und verschnaufte. Ohne abzusperren, humpelte er zum Lift.
    Einige Zeit fand er sein Auto nicht.
     
    Alle Fenster waren offen. Der Fahrtwind rieselte über seine Haut. An einer Kreuzung blieb er bei Grün stehen, an der nächsten wäre er beinahe bei Rot gefahren. Im Zeitungsladen sammelte er wahllos Magazine ein. Die Verkäuferin fuhr sich trotz ihrer Tintenfinger durchs Haar und nestelte an ihrer verwaschenen Bluse. Er rochihr erdiges Parfum schon bei den Zeitungsständern. Sie lächelte ihn an. Aus ihm kam ein Lächeln, das größer und tiefer war als alle zuvor.
    Sie sehen fantastisch aus, sagte sie.
    Jonas nickte dem stummen Alten im Hinterzimmer zu. Der Alte nahm seine Pfeife aus dem Mund, betrachtete Jonas aufmerksam und nickte zurück.

15
    Sie muss es von sich aus wollen, sagte er. Es muss ihre freie Entscheidung sein. Sie muss zu mir kommen, und das weiß sie.
    Wahrscheinlich hast du recht.
    Ich habe sicher recht, sagte er und legte auf.

16
    Wie üblich war Jonas zu früh. Er las seine SMS und bestellte bei einer apathischen Kellnerin grünen Tee. Er überflog die Speisekarte und entschied sich für einen Salat, weil der schnell ging. Falls sie noch woandershin gingen.
    Mit scheuem Asiatennicken stellte die Kellnerin den Tee ab. Mit dem Essen wollte er warten, sagte er und bat um einen Lappen für den schmierigen Tisch. Sie kam damit und wischte ab. Er begann sinnlos in seinem Handy herumzutippen. Zehn vor. Fünf vor. Ihm war eiskalt. Ins Telefon schrieb er: Nur für den Fall, dass ich kein Wort herausbringe: Hallo! Ich will dich küssen! Er schickte die Nachricht nicht ab, sondern speicherte sie.
    In der Toilette brachte er vor dem Spiegel seine Frisur in Ordnung und kontrollierte sein Gesicht. Es gab keinen Pickel abzudecken, und er ließ den Stift zurück in die Hosentasche gleiten. Er fröstelte, doch die Ärmel krempelte er trotzdem nicht hinunter, weil ihm das Hemd so besser stand und weil Marie immer sagte, wie männlich sie seine Arme fand. So unbefangen wie möglich schlenderte er durch das Lokal zurück.
    Er sah sie von hinten. Sie trug eine hellblaue Bluse und dunkle Jeans, dazu strahlend weiße Turnschuhe. Ihr Nacken schimmerte unter den halblangen Haaren hindurch. Ein Schlag durchzuckte ihn, es war, als sandte ihr bloßer Anblick eine Botschaft an einen Bereich in ihm, zu dem er keinen Zugang hatte und der älter war als er selbst.
    Wortlos hielt er ihr das Handy mit der Nachricht hin. Sie blickte auf das Display, reichte ihm ihr eigenes Handy, und da stand schon:
    Ich dich auch .
    Sie blätterte in der Speisekarte. Was mit den Händen tun? Wenn nicht sie berühren? Er fühlte einen ans Hysterische grenzenden Drang, sie anzufassen, überall, am liebsten wäre er über den Tisch gehechtet und hätte sich auf sie geworfen, ihren Körper zu Boden gerissen und mit seinem bedeckt, um sie gleich hier zu lieben. Aber er blieb stumm sitzen, kreiste den Kopf, massierte sich grundlos die Schultern und grinste verlegen.
    Apok ist seltsam, sagte sie, nachdem beide bestellt hatten.
    Inwiefern? Du vermutest doch nicht wieder, er wüsste etwas von uns?
    Nein, das ist es

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