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Das Leben der Wünsche

Das Leben der Wünsche

Titel: Das Leben der Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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sein Magen hob.
    Glück ab und Gut Land! riefen die Gehilfen.
    Sobald sie in der Luft waren, war den Jungen keineAngst mehr anzumerken. Den rasch kleiner werdenden Gehilfen winkend, jauchzten und schrien sie so wild, dass Jonas sie ermahnte, weil es ihm Karo gegenüber unangenehm war, doch der lachte nur.
    Sind eben Kinder, sagte er. So, alle hinunterspucken!
    Was?
    Jetzt wird hinuntergespuckt! Das bringt Glück!
    Soll ich wirklich? fragte Tom grinsend und verdrehte den Hals, als er zwischen Karo und Jonas hin- und herschaute.
    Wenn Karo es sagt, natürlich. Er ist der Kapitän!
    Spuckt hinunter! sagte Karo. Dabei dürft ihr euch etwas wünschen!
    Tom und Chris sahen Jonas erwartungsvoll an. Mit geschlossenen Augen spuckte Jonas in die Tiefe.
    Was hast du dir gewünscht?
    Das darf man nicht verraten, sonst geht es nicht in Erfüllung. Worauf wartet ihr? Sonst spuckt ihr bei jeder Gelegenheit wie die Lamas.
    Sie lachten. Tom spuckte, drehte sich zu Jonas und sagte: Ich wünsche mir, dass du –
    Nicht verraten!
    Ich wünsche mir, dass du mir einen Kuss gibst!
    Na, das geht bestimmt in Erfüllung!
    Er drückte seine Lippen auf Toms weiche Wange. Dabei roch er einen feinen, süßen Geruch von Haut, Saft und Kaugummi. Er umarmte den Jungen fest. Er war stolz auf die beiden, sie hatten wirklich Mumm.
    Ich auch! Ich will auch!
    Trotz dessen vehementer Aufforderung musste er Chris, der meinte, mit jedem Spucken einen neuen Wunsch frei zu haben, und nun unablässig über den Korbrandspuckte, unter sanftem Druck umdrehen, dann umarmte er auch ihn. Er zwang sich, das Glück zu fühlen, obwohl irgendwo neben ihm oder über ihm ein diffuses Gefühl von Schrecken hing.
    Der Brenner schnaubte auf. Als Jonas den Fotoapparat aus der Tasche zog, warfen sich die Jungen ohne die sonst nötige Aufforderung in Pose und schnitten Grimassen, die sie für ein Lächeln hielten. Jonas knipste sie, knipste Karo, machte Bilder von der Landschaft, bis es Tom und Chris kalt wurde. Widerspruchslos ließen sie sich ihre Jacken überstreifen.
    Je höher sie stiegen, desto stiller wurde es im Korb. Nach einer halben Stunde war nur noch ab und zu das Aufzischen der Flamme zu hören. Jonas schaute hinab auf die Äcker, die Wiesen, die Ansiedlungen, die in Wälder hineinwucherten. Da und dort sah er kleine Autos fahren. Er fühlte sich behaglich müde.
    Wohin fliegen wir? fragte Tom.
    Ich weiß es nicht, sagte Jonas. Wir fliegen mal und hoffen, dass wir irgendwo landen, wo uns Karos Freunde mit unserem Auto finden.
    Aber wohin?
    Tom, wir fliegen nirgendwohin, wir haben kein Ziel. Es ist wie Spazierengehen.
    Fliegen wir zu Mami?
    Tom …
    Chris begann zu weinen. Fliegen wir zu Mami? Er spuckte in die Tiefe. Ich wünsche es mir!
    Hilflos hob Jonas die Arme. Karo blickte vom einen zum anderen.
    Da oben ist sie, sagt Opa! Fliegen wir hinauf? Sie besuchen?
    Nein, ihr zwei, sagte Jonas fest. Wir fliegen sie nicht besuchen. Sie ist nicht da oben. Opa redet manchmal Unsinn.
    Doch! Sie ist da oben!
    Ist sie nicht, Tom!
    Wo ist sie denn sonst?
    Das kann ich nicht sagen.
    Sie ist da oben! Ich will sie besuchen!
    Karo schaltete sich ein.
    Seit ich Ballon fahre, meine jungen Freunde, seit ich Ballon fahre, und ich bin der älteste Ballonfahrer, den es gibt, habe ich da oben niemanden getroffen. Und ich war ganz oben! Schaut hinauf! So weit ihr schauen könnt, so weit war ich oben. Und da ist niemand.
    Wo ist meine Mami dann?
    Das weiß ich nicht. Das weiß keiner. Ich weiß nur, dass sie nicht dort ist, wohin wir fliegen. Dass niemand von uns, nicht einmal ich, dorthin fliegen kann, wo sie ist.
    Karo teilte Ballonfahrerbonbons und Ballonfahrerkappen aus. Jonas hätte es nicht erwartet, doch die Jungen beruhigten sich wieder.
    Und du warst da ganz oben? fragte Tom, den Blick in den Himmel gerichtet.
    So weit das Auge reicht!
    Warst du beim Mond?
    Viele Male! nickte Karo.
    Warst du bei der Sonne? rief Chris.
    Viele Male!
    Jonas schaute wieder in die Weite unter ihm. Kurz fühlte er Schwindel. Wind blies ihm in die Haare, der Korb knarrte, ab und zu schnaufte der Brenner auf. Jonas kontrollierte seine SMS. Anne schrieb, sie wolle ihntreffen. Er ließ Karo ein Handyfoto von sich machen, auf dem man den Brenner erkennen und einen Eindruck von der Höhe gewinnen konnte, in der sie schwebten, und schickte es ihr.
    Er stellte sich hinter die Jungen, die miteinander stritten, ob dies oder jenes auf dem Erdboden eine Kirche sei, eine Scheune, ein Auto oder ein Drache. Er

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