Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
wie bei Herold [eine befreundete Familie in Hof] kurz, ich war so lustig wie bei euch. … Beim Himmel! jetzt hab ich Mut. … Ich habe in Weimar zwanzig Jahre in wenigen Tagen verlebt, meine Menschenkenntnis ist wie ein Pilz mannshoch in die Höhe geschossen. Ich werde dir von Meerwundern, von ganz unbegreiflichen, unerhörten Dingen (keinen unangenehmen) zu erzählen haben, aber nur dir allein. … Ich bin ganz glücklich, Otto, ganz. … Ich kann hier, wenn ich will, an allen Tafeln essen. Ich kam noch zu keinem Menschen, ohne geladen zu sein. … Ich lebe fast nur von Wein und englischem Bier. … Hier sind alle Mädgen schön … Ach, ich kann mich schon gegenwärtig nach meiner jetzigen Gegenwart innigst sehnen.«
Abb.19: Johann Gottfried Herder 1795.
Gemälde von Friedrich August Tischbein
Statt im »Erbprinzen« logierte er bald nach seiner Ankunft im Hause eines Verehrers, wo er prächtiger wohnte als je zuvor. Ihm, der sich in Hof noch immer mit Mutter und Brüdern mit einem Zimmer begnügen musste, standen hier zwei zur Verfügung, »besser möbliert als eines im Modejournal« . Der ihm ungewohnte Komfort bestand auch darin, dass jedes Zimmer eine eigne Beleuchtung hatte, ein Nachtstuhl am Bett stand und fertige Briefumschläge zur Hand waren, »100 Stück zu 10 Groschen«.
Er lebte wie im Rausch und hatte oft einen, eilte von einer Einladung zur anderen, weil jeder den Dichter erleben wollte, der für drei Wochen beliebter Gesprächsstoff der besseren Gesellschaft war. Man lobte seinen Geist und seinen Witz, besonders aber seine Unbefangenheit und Einfachheit, die so ganz unhöfisch war. »Milde wie ein Kind und immer heiter« , nannte ihn Karoline Herder, und die Herzogin Anna Amalia beschrieb ihn Wieland, der in die Schweiz gereist war, als einen »sehr einfachen Mann, welcher mit vieler Lebhaftigkeit, Wärme und Innigkeit« spreche und so unschuldig sei wie ein Kind. »Seines unerschöpflichen Witzes« wegen sei er ein »angenehmer Gesellschafter« und habe »bei allen unseren Genies jeder Art große Sensation gemacht« .
Ganz so naiv, wie die Weimarer dachten, war er, wie seine Briefe zeigen, nun freilich nicht. Er kannte und genoss die Wirkung, die seine Unschuld ausübte, blieb dabei aber ein scharfer Beobachter, der manche verborgenen Realitäten erkennen konnte, so dass er die heilige Stadt mit dem Mond verglich, der nur aus der Ferne zu glänzen scheint, aus der Nähe betrachtet aber jeden Glanz verliert. »Kurz, ich bin nicht mehr dumm«.
Abb.20: Brief von Caroline und Gottfried Herder
an Jean Paul vom 4. Mai 1798
Der Chinese in Rom
Zu Jean Pauls Erkenntnissen seines Besuchs in Weimar gehörte unter anderem, dass die von ihm geglaubte Dreieinigkeit von Wieland, Herder und Goethe gar nicht bestand. Besonders Goethe und Herder, die in jungen Jahren Freunde gewesen waren, verübelten sich gegenseitig die unterschiedlichen Entwicklungen, die sie jeweils durchgemacht hatten, und lebten in einem Zwist miteinander, der zwar selten nur laut wurde, aber, da beide ihre Sympathisanten hatten, der gesellschaftlichen Atmosphäre der kleinen Residenz nicht gut bekam. Die Ursachen dieses Zwistes waren sowohl in den unterschiedlichen Kunstauffassungen zu finden als auch in der Politik. Da Herder Kunst und Poesie aus Wirklichkeit und Gegenwart hervorgehen lassen wollte, musste er den antik getönten Formkult Goethes und Schillers verwerfen, und da er republikanisch dachte und die Französische Revolution begrüßt hatte, war ihm Goethes antirevolutionäres Denken genauso zuwider wie sein mit dem Antikenkult verwobenes Heidentum. Er fand den »Wilhelm Meister« leichtfertig und unsittlich, und als die offenherzigen, ihm frivol dünkenden »Römischen Elegien« in den » Horen« erschienen, schlug er als neuen Namen der Zeitschrift »Die Huren« vor.
Bei aller Anerkennung, die Jean Paul lebenslang Goethes Größe zollte, war doch Herder, dem er sich geistig verwandt fühlte, immer wichtiger für ihn. Im »Brief über die Philosophie« und in der »Vorschule der Ästhetik« hat er später seiner Herder-Verehrung hymnisch Ausdruck gegeben, und die »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« waren seine letzte Lektüre auf dem Totenbett. Seit seinem 18. Lebensjahr hatte er Herder mit Gewinn gelesen. »Seine Werke waren kühle Quellen für meinen Durst in der Sandsteppe von Hof« gewesen, hatte er Charlotte von Kalb wissen lassen, und da das Ehepaar Herder schon seine Satiren geschätzt
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