Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Fräuleins um keine »Neigungsheirat« gehandelt hatte, führten »Geschmacks- und Meinungsverschiedenheiten« bald zum Zerwürfnis. »Man mied sich, und wenn der Graf in Gröben war, war die Gräfin in Berlin und umgekehrt. Aber auch in diesem Sich-Meiden empfanden beide Teile noch immer einen Zwang, und ihre Wünsche sahen sich erst erfüllt, als gegen Ende des Jahrhunderts aus der bloß örtlichen Trennung auch eine gesetzliche geworden war. Der Sohn verblieb dem Vater, die Tochter folgte der Mutter, welche letztere, noch eine schöne Frau, bald danach einem thüringischen Herrn von Schwendler ihre Hand reichte.« Das aber erst, nachdem Jean Paul ihr entgangen war.
Abb.33: Henriette von Schlabrendorff.
Ölgemälde
Wie das geschah, bekam Freund Otto nach den sich ständig wiederholenden Klagen über die noch andauernde Ehelosigkeit ungewöhnlich genau zu erfahren, und zwar so: »Es ist freilich komisch, dass meine Treppe zum Ehebette (nach dir) unendlich-lang sein soll. Ich sorg’ indes, in Berlin spring’ ich hinein. Aber es muss bloß ein sanftes Mädgen darin liegen, das mir etwas kochen kann und das mit mir lacht und weint. Mehr begehr’ ich gar nicht. Das Schicksal wird mich doch nicht in Goethes Pferdefuß-Stapfen jagen wollen, oft überleg’ ich’s freilich, aber es ist nicht daran zu denken; sogar in einer solchen Un-Ehe sänn’ ich wieder auf Ehe. Ich muss und werde ein Mädgen heiraten, dessen ganze Sippschaft ein Freudenfest feiert, dass ich mich herabgelassen. Und doch spekulier’ ich seit einiger Zeit fast mit auf Eingebrachtes; eine bemittelte Gräfin oder so etwas, denk’ ich oft, kann sich in dich verschießen, und dann hieltest du dir ein Reitpferd – wenigstens den Reitknecht – und sprengtest nach Bayreuth, und überhaupt das Fett wüchse fort, das sich jetzt ansetzt.«
Das wurde am 26. August 1800 geschrieben, am 30. kam die Mitteilung, dass die junge schöne geschiedene Gräfin von Schlabrendorff mit ihm nach Gotha reisen wolle und er sich als Hasen sehe, »den der Jäger in immer näheren Kreisen umschleicht. Wir sind jetzt bei dem Händeanfassen mit eingemischten leichten Drucken. Ich halte mich passiv, und dabei kann keine Partei sehr riskieren« . Und als der Ausflug nach Gotha vorbei war, bekam der Freund am 11. September »mehr Süßsaures als Sauersüßes« zu lesen, darunter auch, dass der Dichter am Sonntagabend nach dem Essen mit der Gräfin das Kanapee »bewohnte – die schöne lange Gestalt, die durchaus harmonischen Teile, die gerade Nase und der feine zu besonnene gespannte, der Berlepsch ähnliche Mund, aus dem aber, zumal in der Liebesminutenzeit eine so ins Herz einsickernde Stimme bricht, dass ich sie in Gotha bat, mir es zu sagen, wo ich ihr nicht glauben dürfte, weil ich sonst der Stimme wegen nie wüsste, woran ich wäre – das alles neigte sich an meine Lippen. Unser Weg ging bergunter, d.h. schnell, wir legten in Sekunden Wochen zurück. Sie hatte noch die Hof-Brillanten an Fingern und am Halse; und als ich wahrlich an dem letzteren nicht weiter rückte als ein Rasiermesser an unserem – vergib meine Ungebundenheit, da ich heute toll bin – so schnallte sie das Kollier ab und machte ungebeten die tiefern schönen Spitzen auf. … Ein vornehmes Wesen hat leichter ein Herz als ein Schnee-Weltgen darüber (sogar das erriet ich im Hesperus). Ihr Globulus hatte die Farbe und – Weichheit von Wolkenflocken. … Dabei blieb die Doppelglut, aber aus ihrem Anwinden und aus ihrem Wunsche, an mir zu schlafen und aus der Klage bei der letzten Umarmung, dass ich sie damit wieder aus der Ruhe gebracht, war leicht auf die Zukunft zu schließen. Ich sagte zu ihr: Du (denn das war bald da) weißt den Teufel, wie oft Männern ist. Und so ging ich – Ich hatte in meinem schlafenden Kopf fast das ganze schlagende Herz droben. Morgen Abend im gothaischen Gasthofe ist eine Sache entschieden (dacht ich die ganze Nacht), die es beinahe schon heute war. Einmal war ich fast dem Absagen der höllischen Himmelfahrt (oder der himmlischen Höllenfahrt) nahe. Aber ich fuhr doch mit …« Aber trotz der nebeneinanderliegenden Zimmer mit Durchgangstüre erlag der Jüngling auch dieser Versuchung nicht. »Ich bin physisch-kalt und moralisch-heiss gegen Freundinnen« , war sein Erklärungsversuch.
Von Weimar hatte er in diesen Septembertagen schon innerlich Abschied genommen. Er nannte es eine »abgebrannte Stadt, auf deren heißer Asche ich noch schlafe. Jede Stadt
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