Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
scheint mir vor dem Auszug ebenso verkohlt. Die Poesie erbeutet bei dieser Völkerwanderung durch Örter und Herzen, aber das Herz wird ein armer Emigré; ich wollt’ ich wär’ ein Refugie in meiner Hochzeitsstube.« Den Winter wollte er in Berlin verbringen, diesem »glänzenden Juwel« unter den ihm bekannten Städten, dem aber leider die schöne Umgebung fehlte, worunter er eine mit Bergen verstand. Denn wie fast alle seine Zeitgenossen hatte er für die Schönheiten der Mark Brandenburg, von der man nur die sandigen Wege kannte, keinen Sinn. »Ja, Berlin ist eine Sandwüste, aber wo sonst findet man Oasen« , soll er zu Helmina von Chézy gesagt haben, und Fontane benutzte 80 Jahre später diese Metapher zur Charakterisierung von Jean Pauls Werken: »Sahara, aber welche Oasen darin!«
Aus Kostengründen wollte er in Berlin mit dem langjährigen Freund Hans Georg von Ahlefeldt zusammen wohnen, der also den Auftrag bekam, seine Stube dort einzurichten, deren wichtigstes Möbelstück neben dem Schreibtisch das »Repositorium (mehr ein Papier - als Bücherbrett)« war. »Mache überhaupt meine Einrichtung nicht kostbar; denn der Ehe, des Alters und der Gesundheit und der Literatur wegen muss ich sparen« . Seine Adresse war: die Hausnummer 22 der Neuen Friedrichstraße, die sich damals innerhalb der alten Befestigungen halbkreisförmig von der Friedrichbrücke bis zur Jannowitzbrücke hinzog und deren trauriger Rest heute Littenstraße heißt. Das Gartenhaus, in dem Jean Paul und Ahlefeldt wohnten, befand sich an der Kreuzung der Königsstraße, der heutigen Rathausstraße. Im Vorderhaus wohnten Henriette und Marcus Herz.
Ein Winter in Berlin
Jean Pauls Aufenthalt in Berlin, der im Oktober 1800 begann und im Juni 1801 endete, war der Scheitelpunkt seines Lebens, an dem er diesem nach dem Erreichen seiner ehrgeizigen literarischen Ziele eine andere Wendung gab. Durch harte Arbeit war der arme Provinzler in die große Welt aufgestiegen, um nun zu merken, dass Ruhm weder glücklich machte, noch beständig war. Die Gesellschaft der Literaten und Aristokraten, die er sich erobert hatte, war nicht die seine. Mit dem umfangreichsten seiner Romane, dem »Titan«, dessen vier Bände von 1800 bis 1803 erschienen, konnte er den Erfolg des »Hesperus« nicht wiederholen, was ihn mehr schmerzte, als er zugeben wollte, weil er ihn für sein Hauptwerk hielt. Auch um für diesen Roman Kenntnisse zu sammeln, war er in die Kreise des Adels und der Fürstenhöfe eingedrungen, aber den Ehrgeiz, in sie aufgenommen zu werden, hatte er nie. So sehr er auch den Glanz der höheren Stände genossen hatte, so wenig fühlte er sich dort zugehörig, und deshalb veränderte dieser Umgang auch sein Fühlen und Denken nicht. Der Trubel, den besonders die Berliner um ihn machten, förderte nur sein Ruhebedürfnis. Die Bedrückung, die in der Jugend die kleinstädtische Enge erzeugt hatte, wich in der Hektik des Berliner Lebens der Sehnsucht nach ihr. Der jugendliche Drang nach Aufbruch wandelte sich in den nach Heimkehr, und mit der wachsenden Wohlbeleibtheit kündigte sich auch das Alter an.
Genau markiert wurde die Wende durch seine Heirat, die überraschend schnell zustande kam. Zwar hatte er Heiratsabsichten brieflich schon manchmal angekündigt, aber da die vielen Frauen, die dazu gern bereit gewesen wären, ihm nicht passend erschienen waren, glaubten seine Freunde kaum noch daran. In Berlin aber, wo er am 3. Oktober eingetroffen war, wurde fünf Wochen später schon Verlobung gefeiert und diese Ende November auch in den beiden Berliner Zeitungen der Öffentlichkeit bekannt gemacht: »Der Legationsrat Jean Paul Friedrich Richter meldet seine Verlobung mit der zweiten Tochter Karoline des Herrn Geheimen Ober-Tribunal Rats Mayer.«
Seine Braut war ihm schon bei seinem Besuch Berlins im Frühsommer aufgefallen, sie war eine der drei Schwestern gewesen, die ihm zum Andenken Haare verehrt hatten, aber namentlich hatte er sie in seinen Briefen nicht erwähnt. Wie viele Frauen war sie seiner Ausstrahlung von Geist und Güte, von Witz und Gefühlsstärke sofort erlegen, und da er in ihr Züge seiner Traumfrau Rosinette (die er in den »Palingenesien« als Hermina noch einmal hatte aufleben lassen) zu erkennen meinte, ging er jetzt, seine Simultan- oder Tuttiliebe beendend, ungewohnt zielgerichtet vor. Dass die dreiundzwanzigjährige Karoline schon verlobt war, und zwar mit einem inzwischen schon nicht mehr geliebten Vetter, war ein
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