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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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die Farm zu unterhalten. Sie verfügten über das Fachwissen aus Büchern, er konnte die praktische Erfahrung aufweisen. »Wer weiß, was wir Farmer alles entwickeln könnten«, sagte er immer, »wenn wir mit der Uni zusammenarbeiten würden.«
    Ich genoss es, wenn wir zwei mit unseren Bodenproben und Pflanzen auf dem Campus unterwegs waren. Nach den Gesprächen mit den Professoren zeigte mein Vater mir die Ställe, in denen mit neuen Tierarten experimentiert wurde. Da gab es einen Bullen, der neu gezüchtet worden war, aber man probierte ihn noch aus, wie mein Vater sagte. Ich erkundigte mich, was er damit meinte.
    »Das ist ein prämierter Bulle«, antwortete er. »Auf einer Farm werden Tiere auf die herkömmliche Art gezüchtet. Aber hier nehmen die Studenten den Samen von diesem Bullen und spritzen ihn Kühen ein, um damit bessere Arten zu erzeugen. Sie hoffen, eine ganz neue Rasse züchten zu können, die dann aus New Hampshire stammt.«
    Als er mir das erklärte, standen wir vor dem Stall des Bullen. An der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift »Rocky«. Ich hatte noch nie zuvor einen so riesigen Bullen gesehen – wobei er vermutlich noch gewaltiger wirkte, weil er in diesem kleinen Stall eingesperrt war und darüber sehr wütend zu sein schien. Es sah aus, als könne Rocky jeden Moment durchs Gatter brechen und uns niedertrampeln, aber ich hatte keine Angst, weil mein Vater mich an der Hand hielt. Und wenn er in der Nähe war, fühlte ich mich immer sicher und geborgen.
    Ich fragte ihn, wie die Studenten an den Samen kämen. Hätte ich besser Bescheid gewusst, wäre es mir peinlich gewesen, diese Frage zu stellen, aber ich hatte keine Ahnung. In Gegenwart meiner Mutter hätte mein Vater niemals über so ein Thema gesprochen, aber wenn er mit mir alleine war, wirkte er immer entspannter.
    »Was ich besonders schön finde an meinem Beruf«, sagte er, »ist, dass man als Farmer Gene mischen und ganz neues Leben erschaffen kann, ob es nun eine Kuh oder eine Wassermelone ist. Und so ist es ja auch, wenn Mann und Frau sich zusammentun. Man mischt seine Herkunft, und wenn man Glück hat, kombiniert man das Beste von beiden. So wie uns das bei dir gelungen ist.«
    Nachts träumte ich von diesem Bullen. Seine Augen waren rot, Geifer troff ihm vom Maul, und er stampfte auf den Sägespänen in seinem Pferch herum. Er war bedrohlich, aber irgendwie auch aufregend.
    Als ich am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkam, stand meine Mutter wie immer am Herd und kochte den Haferbrei. Meine Schwestern saßen schon am Tisch.
    »Hat dir der Ausflug an die Universität Spaß gemacht?«, fragte meine Mutter.
    »Ja«, antwortete ich. »War sehr lehrreich.«

Dana
    Die Liebe als solche
    D en meisten Menschen fiel an Val zunächst ihre Größe auf. Meine Mutter war annähernd eins achtzig, etwas größer sogar als George. Sie hatte lange blonde Haare und blaue Augen und bewegte sich so elegant wie eine Tänzerin. Ihre Hände waren zwar immer farbverschmiert, aber so lang und schmal, wie man sie auf Werbeanzeigen für Handcreme und Diamantringe zu sehen bekam. Sie hatte nicht diese Schönheit von Filmschauspielerinnen und Fotomodellen, aber ihr schmales Gesicht mit dem weiten Abstand zwischen Nase und Oberlippe verlieh ihr etwas Tierartiges. Sie gehörte zu den Menschen, die sofort Aufmerksamkeit erregten, sobald sie einen Raum betraten.
    Was man von mir nicht behaupten konnte. Ich war klein, meine Haare hatten einen Farbton, der gerne als »schmutzbraun« bezeichnet wird, und im Gegensatz zu den langen, dünnen Ballerinabeinen meiner Mutter hatte ich dicke Waden und breite Füße. Auch als Mädchen – lange bevor die Menopause ihren Teil dazu beitrug – hatte ich eine plumpe Taille, die meine Mutter zu der Bemerkung veranlasste, für solche Figuren seien Empirekleider erfunden worden.
    Aber ich mochte Kleider sowieso nie. Ich habe mich immer schon in Jeans oder Latzhosen am wohlsten gefühlt, und wenn der Anlass es verlangt, trage ich eine Männerhose und ein Hemd. Es ist mir einerlei, ob ich darin plump aussehe. Ich bin es ja auch, weshalb soll ich etwas vortäuschen?
    Ich fand es immer bizarr, wie Val mich mit Rüschenkleidchen und irgendwelchem Kram für die Haare ausstattete, obwohl ich sie kurz trug. Jedes Jahr bekam ich zum Geburtstag eine Barbie-Puppe, die ich nicht mal aus der Schachtel genommen hätte, wenn nicht Ruth Plank und ihre Schwestern zu Besuch gekommen wären. Ich hätte ihnen ja die ganze Sammlung

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