Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
geschenkt, wusste aber, dass meine Mutter das nicht gutgeheißen hätte. Sie war es nämlich, die diese Puppen liebte.
Sie hätte gerne eine Tochter gehabt, mit der sie Kleider anprobieren, Frisuren erfinden, basteln und Puppenhäuser bauen konnte. Val kreierte gerne leuchtend bunte Dinge – Halsketten aus Perlen, handbemalte Tücher, gerüschte Blusen mit Pailletten –, und vermutlich wäre sie auch gerne zur Maniküre in einen Nagelsalon gegangen.
Ich habe zwar nie den Eindruck gewonnen, dass Val und George sich liebten, aber meine Mutter war jedenfalls ein sehr romantischer Typ. Wenn George nach einer langen Reise zurückkam, zündete sie zum Beispiel im ganzen Haus Kerzen an, legte Peggy Lee oder Dean Martin auf und empfing George in irgendeinem ausgefallenen Outfit, das aus Tüchern und Spitze und wenig anderem bestand – was vor allem mein Bruder so grässlich fand, dass er an diesen Abenden meist das Weite suchte.
Aber ich hatte das Gefühl, dass Val dann meist enttäuscht war. Sie war wohl eher in die Liebe als solche verliebt – mehr als in Menschen. Das Dramatische und das Drumherum hatten ihr es vermutlich mehr angetan als die Gefühle.
Ich glaube zwar, dass sie meinen Bruder und mich auf ihre Art schon liebte und vielleicht auch George, aber ihre wahre Liebe fand in irgendwelchen Kammern in unseren jeweiligen Behausungen statt, wo sie sich ihrer Malerei hingeben konnte.
Val malte hauptsächlich Frauengesichter. Manchmal schnitt sie als Inspiration Bilder aus Zeitschriften aus. Auch sich selbst malte sie häufig, in erfundenen Szenen: beim Reiten, auf einem Trapez, im Abendkleid auf einem Ball. Früher wünschte ich mir, dass sie auch ein Bild von mir malen würde. Aber dazu hätte sie mein Gesicht eingehend betrachten müssen, und ich hatte das Gefühl, dass sie mich nicht gerne anschaute. Sie liebte mich zwar irgendwie. Aber sie wollte mich nicht zu lange ansehen, weil sie gewiss schon vor langer Zeit festgestellt hatte, dass ich das, was ihr am wichtigsten war, nicht zu bieten hatte: Schönheit.
Ich erkannte früh, dass ich mich zu starken Frauen hingezogen fühlte. Frauen, die keinerlei Ähnlichkeit mit meiner Mutter besaßen, obwohl auch ich eine Schwäche für Schönheit hatte.
Die erste Frau, in die ich mich verguckte, war die Schauspielerin Della Street, die in der Fernsehserie Perry Masons Sekretärin spielte. Perry gewann die Fälle, und sein wuchtiger Freund Paul Drake agierte als der Mann fürs Grobe, aber Della war diejenige, die ruhig und gelassen blieb und alles organisierte. Trotz ihrer Sanftheit spürte man ihre Kraft und Autorität, und das gefiel mir. Im Gegensatz zu der Frau, mit der ich mein Leben zubrachte – meiner Mutter –, hatte Della alles im Griff.
Ich stellte mir gerne vor, wie Della zu uns nach Hause kam. Sie würde die längst abgelaufenen Joghurtkulturen auf dem Fensterbrett entsorgen und Ordnung bringen in das Chaos: die mit Pinseln gefüllten Orangensaftdosen, die halb abgespulten Tonbänder meines Vaters, die herumliegenden Mad -Ausgaben meines Bruders, die Pailletten und Haarspangen meiner Mutter auf dem Boden und all die ungeöffneten Rechnungen von der Telefonfirma und irgendwelchen Tonstudios, in denen George Aufnahmen gemacht hatte; die Post wurde uns meist aus der jeweiligen Stadt nachgeschickt, in der wir zuletzt gewohnt hatten.
Ich sah gerne die Patty Duke Show , eine Fernsehserie über zwei identisch aussehende Cousinen, von denen die eine in London, die andere in Brooklyn aufgewachsen war. Das vornehme Londoner Mädchen, Cathy, wohnt dann bei dem Mädchen aus Brooklyn, Patty, die ein witziger, wilder, typisch amerikanischer Teenager ist. Aber ich mochte Cathy immer lieber. Sie war vorsichtig und vernünftig; Patty dagegen war verrückt nach Jungs und unreif und ging mir auf die Nerven.
Ich schaute damals viel Fernsehen auf der Suche nach Frauen, die mir als Vorbild dienen konnten. Ich mochte die kraftvolle Stimme von Julia Child und die Art, wie sie mit einem Brathähnchen umging, und die Sprinterin Wilma Rudolph, die bei der Olympiade 1960 drei Medaillen errang, obwohl sie Kinderlähmung gehabt hatte. Die Filmschauspielerin Donna Reed mochte ich nicht nur, weil sie schön war, sondern auch, weil sie so gütig und zuverlässig wirkte, wie ich meine Eltern auch gerne gehabt hätte. Die Beverly Hillbillies liebte ich nicht nur wegen der albernen Possen der Familie Clampett, sondern vor allem wegen der patenten Sekretärin Jane Hathaway, der einzig
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