Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
Agrarwissenschaftlern eher selten zu sehen bekam.
Clarice war Juniorprofessorin für Kunstgeschichte an der Uni. Ich weiß noch, dass ich das beruhigend fand, weil ich keine Seminare von ihr besuchen musste.
»Um diese Tageszeit bin ich am liebsten mit dem Rad unterwegs«, sagte Clarice. »Das Licht über den Feldern sieht dann so faszinierend aus. Hast du mal Bilder von einem Maler namens Turner gesehen?«
Ich hätte ihr erzählen können, dass mein Vater bei einem seiner glücklosen Versuche, das große Geld zu machen, einmal einen gefälschten Turner gekauft hatte. Aber ich hielt lieber den Mund.
»Englischer Maler«, fügte sie hinzu. »Neunzehntes Jahrhundert. Licht und Landschaften waren seine zentralen Motive.«
»Ich bin bei den Agrarwissenschaftlern«, sagte ich.
»Eine Farmerin«, erwiderte sie. »Von denen haben wir hier zu wenige. Bist du auf einer Farm aufgewachsen?«
»Eigentlich nicht.« Ich zögerte. Es war mir schon immer schwergefallen, meine Herkunft zu erklären. »Meine Mutter ist Künstlerin, denke ich mal.« Clarice sah mich erfreut an. »Und mein Vater ist … verschwunden.« Das Wort traf wohl am ehesten zu.
Sie erzählte mir, dass das bei ihr ähnlich sei. Zumindest spräche ihr Vater nicht mehr mit ihr. »Meine Eltern sind nicht einverstanden mit bestimmten Entscheidungen, die ich in meinem Leben getroffen habe«, erklärte sie.
Wir waren jetzt beide vom Rad gestiegen und gingen nebeneinanderher. Sie sagte mir ihren Namen. Ich hatte schon einen verstohlenen Blick auf ihren Po geworfen, als sie noch auf dem Rad saß. Jetzt sah ich ihre elegant geformten Waden.
»Hast du zum Abendessen schon was vor?«, fragte sie.
Auf die Mensa zu verzichten war keine schwierige Entscheidung.
Wir redeten fast den ganzen Abend. Und als wir nicht mehr redeten, war auch das wunderbar.
Ruth
Liebe statt Krieg
V on Josh Cohen hatte ich lange nichts gehört, und unser gemeinsames Buchprojekt Sexual X-tasy hatte ich schon fast vergessen, als er mich im nächsten Frühjahr plötzlich anrief.
»Die Nachfrage ist super«, berichtete er. »Mein Dad hat gerade die zweite Auflage bestellt.«
Ich hatte nicht mal was von der ersten gehört.
»Wie viele sind denn verkauft?«, fragte ich.
»Fünfzehntausend.«
Statt sich einen Verlag für das Buch zu suchen, hatte Josh beschlossen, es im Selbstverlag herauszugeben und gemeinsam mit seinem Vater, dem Textilhändler, zu vermarkten. Die beiden hatten offenbar im Erotikteil von Zeitungen Anzeigen für unser Sexhandbuch geschaltet und vertrieben es auch bei Musikfestivals und Anti-Kriegsdemos. Ihr Slogan war knapp und einprägsam: »Liebe statt Krieg – und so geht’s.«
Die Aufmachung des Buches war nicht allzu hochwertig, dafür war aber der Preis unschlagbar: 2,99 Dollar. Und ich bekam einen Anteil von zehn Cent pro verkauftem Exemplar.
Im April schickte Josh mir einen Scheck über zweitausend Dollar. Im Mai folgten weitere tausend. Auf diese Weise hatte ich im Sommer meinen Studienkredit abbezahlt und überdies genug Geld für die Studiengebühren des nächsten Jahres angespart. Und ich hatte mehr verdient als mein Vater mit den Farmerträgen eines ganzen Sommers.
Als ich die Zeichnungen anfertigte, hatte ich mir nie überlegt, ob mein Name irgendwo im Buch auftauchen würde. Nun hielt ich endlich ein Exemplar in Händen und entdeckte meinen Namen auf dem Titelblatt: Text (sofern es welchen gab; Josh hatte hauptsächlich Namen für die diversen Stellungen erfunden) von Josh Cohen. Illustrationen von Ruth Plank .
Ich sprach mit niemandem über das Buch, vor allem mit meiner Familie nicht, willigte aber ein, in den Semesterferien im Frühjahr zusammen mit Josh an einem Kongress in Arizona teilzunehmen. Zwei Einzelzimmer, und er zahlte die Fahrt.
Der Kongress erwies sich als eine Art Verkaufsmesse für die ersten Vibratoren, Sexspielzeug und Sachen, die man auch in den Headshops am Harvard Square kaufen konnte: Pfeifen, Kristalle, Bauchtanzzubehör. Ein Händler hatte Spekula im Sortiment, bei anderen Leuten bekam man Massageöl und Kerzen in Form bestimmter Körperteile. Die Besucher des Kongresses waren im Durchschnitt Anfang dreißig und vorwiegend weiblich: Feministinnen, Lesben, Hippies, Künstlerinnen.
»Du hast die Illustrationen gemacht?«, fragte mich ein Mann und hielt mir sein Exemplar zum Signieren hin. »Du hast echt Talent, Mann. Und sag mal, beherrschst du diese ganzen Stellungen auch selbst?«
So sonderbar das auch sein mochte – ich
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