Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
Schuld«, sagte ich. »Du hast es immer geahnt. Es war ein Fehler, darauf zu bestehen, dass du dein Privatleben öffentlich machst.«
Unser gemeinsames Leben war zu kostbar. Wir hätten es vor den Blicken anderer schützen müssen.
»Wenigstens versucht jetzt niemand mehr, mich mit Junggesellen zu verkuppeln«, erwiderte Clarice.
Sie ging wie gewöhnlich zur Uni. Wir fuhren nicht zum Yellowstone-Park. Wer sollte sich denn um Jester und Katie und die Ziegen kümmern, sagte Clarice. Und um die Erdbeeren.
Ruth
Eine eigene Familie
N ach meiner Heirat mit Jim hörte ich auf zu malen. Ich spürte keine Sehnsucht mehr in mir. Aber mir fehlte auch die Aufregung, die mich immer beim Betreten meiner Atelierräume erfasst hatte. Nichts drängte mich mehr dazu, ein Bild zu zeichnen.
Aber ich wollte Mutter werden. Den Traum von einer bestimmten Form von Leidenschaft hatte ich aufgegeben; geblieben war der Wunsch, eine eigene Familie zu haben, der ich mich zugehörig fühlte – was mir bei meiner Herkunftsfamilie immer versagt geblieben war.
Ich sagte Jim, dass ich Kinder haben wolle, und er war einverstanden; er wünschte sich vor allem, dass ich glücklich war, und wenn Kinder dazu beitrugen, dann wollte auch er welche haben.
Bei unserer Hochzeitsreise nach Cape Cod ließ ich mein Diaphragma zuhause. Unser Liebesleben hatte bereits an Spontaneität verloren und fand in einem vorhersehbaren Zwei-Tages-Rhythmus statt, doch mit unserem neuen Ziel vor Augen wurde es wieder lebhafter.
Wegen der Erfahrung mit Ray war ich davon ausgegangen, dass ich sofort schwanger werden würde. Als nach drei Monaten immer noch nichts passiert war, begann ich regelmäßig meine Körpertemperatur zu messen, und wenn sich der Eisprung näherte, rief ich Jim sogar bei der Arbeit an. Er war zwar sehr gewissenhaft, was seine Kunden anging, kam dann aber sofort nach Hause, um an seiner derzeit wichtigsten Aufgabe zu arbeiten.
Auch nach sechs Monaten hatte sich noch immer nichts getan. Natürlich setzte mir die Erinnerung an die abgebrochene Schwangerschaft zu. Ich hatte unwillkürlich das Gefühl, dass ich jetzt für die Abtreibung bestraft wurde. Und für die Vermessenheit zu glauben, man könne das Muttersein so planen wie inen Zahnarzttermin oder einen Friseurbesuch.
Nach zwölf Monaten suchten wir eine Ärztin auf. Ein Jahr war zwar noch keine so lange Zeit, aber die Ärztin machte diverse Tests.
Es stellte sich heraus, dass Jim eine zu niedrige Spermienzahl hatte. »Man weiß aber nie, es kann immer noch klappen«, meinte die Ärztin. Doch wenn wir auf Nummer sicher gehen wollten, riet sie uns, sollten wir die Alternativen in Erwägung ziehen. Samenspende, In-vitro-Fertilisation oder Adoption.
Schließlich fanden wir unsere Tochter in Korea, kurz vor meinem dreiunddreißigsten Geburtstag.
Wir flogen nach Seoul, um Elizabeth – die damals vierzehn Monate alt war – aus dem Waisenhaus abzuholen. Man hatte sie, nur in ein Tuch gehüllt, noch mit den Resten ihrer Nabelschnur vor dem Waisenhaus gefunden. Es gab keinerlei Anhaltspunkte über ihre Herkunft. Ich war jetzt ihre Mutter. Das war alles, was für uns zählte.
Man brachte uns zu einem Gebäude, in dem die künftigen Adoptiveltern die notwendigen Papiere unterzeichnen und ihr Kind in Empfang nehmen sollten. Einen ganzen Vormittag lang saßen wir neben anderen Paaren auf einer Holzbank und warteten darauf, dass man unseren Namen aufrufen würde.
Jedes Mal, wenn die Tür aufging, waren Jim und ich bereit, aufzuspringen. Aber alle anderen kamen vor uns dran, bis wir schließlich alleine auf der Bank saßen. Endlich rief man uns in das Zimmer.
Am anderen Ende stand jemand und hielt unser Töchterchen im Arm. Jim und ich eilten zu ihr.
Sie war in eine graue, dünne Decke gehüllt und sah allerliebst aus – glatte, karamellfarbene Haut, mandelförmige Augen, dichte schwarze Haare, einen Mund wie eine Rosenknospe. Obwohl sie nun einer wildfremden Frau überreicht wurde, weinte unsere Tochter nicht, sondern sah uns nur an.
Von Anfang an schien sie alles, was sie erlebte, mit einer ruhigen, vornehmen Würde hinzunehmen. Ihr Gitterbett hatte sie bis dahin mit einem anderthalbjährigen Mädchen namens Ae Sook geteilt, das wie sie selbst ausgesetzt worden war. Die beiden waren nie länger als ein paar Minuten getrennt gewesen, seit man sie gefunden hatte. Sie hatten aneinandergeschmiegt geschlafen. Wenn eine weinte, tat es die andere auch. Wenn eine den Finger ausstreckte, umfasste ihn
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