Das Leben Findet Heute Statt
fälschten und fortgesetzt Falschaussagen machten, landeten sie auf der Anklagebank.
Dies ist nicht der einzige Fall, in dem Wissenschaftler, wirtschaftlichen Gesetzen folgend, ihre sogenannten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse dem angepasst haben, was Auftraggeber gern hören wollten. Ich bin sicher, dass sie in lichten Momenten vom schlechten Gewissen geplagt wurden. Dem entflohen sie aber mit dem Argument aller Vertröster: Später wirst du dann frei sein. Später kannst du dann der sein, der du gerne wärest.
Die Natur verwehrt uns den Blick in die Zukunft. Selbst der Blick in die Vergangenheit führt ehrliche Forscher ins Gespräch mit der Philosophie. Die großen Naturwissenschaftler kennen ihre Grenzen des Forschens und bekennen sich demütig dazu. Manchem mag das «Ich weiß, dass ich nichts weiß!» zu pessimistisch klingen. Fest steht jedenfalls, dass durch nichts zu beweisen ist, dass der Stein, den ich gleich fallen lassen will, auch wirklich fallen wird. Aus der Forschung, wie etwas ist, und dem Wissen, wie etwas war, können nur Aussagen getroffen werden, wie es vermutlich unter diesen oder jenen Bedingungen kommen wird. Ohne eine Haltung, die im Heute auch Änderungen des für später Vorgestellten erwartet, kann jedoch niemand der Wirklichkeit des Lebens begegnen, welches heute stattfindet und mit einem gewissen Humor die Dinge ganz anders aussehen lassen kann als erwartet.
Zu den Gesetzen der Natur gehören ihre Überraschungen. In der Chaostheorie versuchen Physiker und andere Wissenschaftler zu ergründen, ob sich die Unberechenbarkeit, die zur Architektur des Lebens gehört, eben doch berechnen lässt. Immerhin wird damit anerkannt, dass wir nicht weiter ein starres Naturgesetz annehmen können. Wäre alles nur starr, würde es unter der Sonne nichts wirklich Neues mehr geben. Es scheint auch im Ablauf der Natur sowohl Zustände als auch Momente zu geben, die von einer Freiheit bestimmt sind, die ganz andere Folgen hat, als wir uns ausdenken können.
Ich will mich hier im Klostergarten nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Von hier aus kann ich aber ganz gut erkennen, wie mit den Worten «Natur» und «natürlich» in der Gesellschaft geaast wird. Meistens begegnen sie uns doch auf Lebensmittelverpackungen und in Anzeigen, die Urlaub in einem Wellnesstempel anpreisen. Dort bietet man uns nach allen Regeln der Kunst Natürlichkeit an. Die reicht vom Naturjoghurt über natürliche Geschmacksverstärker bis hin zu Bio-Food und Warmwassertherapien, die unser Wohlbefinden stärken sollen. Wo «natürlich» draufsteht, darf auch beim Preis draufgeschlagen werden. Die Natur ist zu einem Luxusgut geworden. Mit der Aussicht, durch diesen Vitamindrink und jenen Trainingsplan, «der Natur abgelauscht», sich bald schon viel besser zu fühlen, lassen wir uns tief in die Taschen greifen. Wir könnten es preisgünstiger haben. Gratis sogar. Und schon heute. Aber das Naheliegende verführt uns nicht zur Tat. Uns lockt nur das, was außerhalb unserer Reichweite liegt.
Das Kreuz im Klostergarten erinnert an die erste Geschichte der Bibel. Es ist die vom Paradiesbaum. Von diesem alten Baum erzählt die Geschichte von Adam und Eva. Es ist den Menschen verboten gewesen, von ihm zu essen. Sie haben es trotzdem getan,weil die Früchte so schön anzusehen waren. Ihnen stand alles zur Verfügung, um das Jetzt zu genießen. Aber das, was später kommen könnte, ist einfach verlockender. Der Sündenfall der Menschheit beginnt da, wo wir einfach nicht mit dem zufrieden sind, was uns heute im Leben geboten ist. Wir sehen nicht unsere jetzigen Chancen, sondern schielen auf die Möglichkeiten, die wir vielleicht noch haben werden. «Ihr werdet sein wie Gott!», wispert die Schlange Eva zu. Als Prototyp für die Menschen greift sie schließlich zu. Es ist immer der gleiche Fehler: Wir können nicht abwarten, was alles kommen wird, wenn wir 10 0-prozentig nutzen, was uns jetzt zur Verfügung steht. Es muss alles sofort passieren. Auch wenn es nur zu dem Preis möglich ist, dass Forschungsergebnisse gefälscht oder Vitamine in Überdosis im Namen der Gesundheit geschluckt werden müssen.
Das Kreuz im Klostergarten erinnert daran, dass es tödlich enden kann, was Menschen anfangen, um sich selbst und, noch schlimmer, andere auf eine bessere Welt jenseits vom Heute vorzubereiten. Das Kreuz weist auf die Alternative hin: die Schöpfung und unsere Möglichkeiten heute mit dem Grundvertrauen ernst zu nehmen, dass sich darin
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