Das Leben Findet Heute Statt
unumstößlich sind. Alles ist zum Abschuss freigegeben. Oberstes Prinzip: Wenn ich mir vorstelle, dass es richtig ist, dann ist es auch richtig. Alles ist erlaubt, was uns, wie wir zu wissen meinen, endlich eine bessere Welt erreichen lässt, wo wir dann Trost finden für unsere Seele. Diesem scheinbar besseren Morgen wird die Ethik für heute geopfert.
Meine Kapuzinerbrüder im 17. Jahrhundert haben für ein besseres Morgen Frauen zum Scheiterhaufen geführt. Sie sahen sich in der moralischen Pflicht, sie davor zu bewahren, in die Hölle zu kommen. Also unterstützten sie alles, was die Frauen zum Abschwören hätte bringen können. Also befürworteten sie Folter und Scheiterhaufen. Sie meinten auch, sich selbst damit etwas Gutes zu tun: Sie wollten den Trost der Ewigkeit gewinnen als Lohn für ihren «Dienst».
Für uns klingt das alles aberwitzig. Mit dem Willen, die gute Zukunft in der Ewigkeit zu erlangen, waren sie blind für die Gegenwart, und das beileibe nicht als Einzige. In Europa wurden etwa 50 000 Menschen in nur wenigen Jahrzehnten umgebracht, etwa 75 Prozent davon waren Frauen. Meistens geschahen diese Tötungen ohne Zutun der Kirche. Die staatliche Obrigkeit glaubte, sich und dem Volk damit einen Dienst zu tun. In einigen katholischen Fürstenbistümern, in denen unter anderem auch die Kapuziner wirkten, muss jedoch ganz klar von der Mitschuld der Kirche gesprochen werden.
Kaum vorstellbar für heutige Verhältnisse. Wirklich? Mich lehrt dieses Beispiel, die Welt, in der wir leben, demütiger zu betrachten. Denn eines hat sich im Gegensatz zum Mittelalter tatsächlichgeändert: Statt des Willens, die Ewigkeit zu erlangen, steht heute für uns eher die persönliche Zukunft im irdischen Leben im Vordergrund. Wir denken an morgen. Und jede Vorstellung, dass es uns da schlechter gehen könnte, macht uns Menschen heute blind gegenüber der Wirklichkeit. In unserer Mitte werden jährlich etwa 120 000 Kinder im Mutterschoß getötet. Werdende Väter und Mütter wollen damit sicher etwas Gutes erreichen. Sie möchten nicht, dass ihr Kind in die Hölle dieser Welt kommt. Sie möchten auch vermeiden, dass das Leben für sie selbst zur Hölle wird. Man hatte ja für morgen ganz anders geplant Kind, du störst! Du machst mir meine Zukunft kaputt. Wie lautete noch der alte AP O-Spruch ? Macht kaputt, was euch kaputt macht. Einwände werden mit der Formel zurückgewiesen: Das ist Privatsache.
Aber das alles geschieht ja nicht privat. Die Tötungen der Leibesfrucht werden auf Kosten der Krankenkasse durchgeführt. Dieselbe Krankenkasse hat leider gute Chancen, einige Jahre später aufwendige Therapien für die Behandlung eines Post Abortio Syndroms bezahlen zu müssen. David M. Fergusson von der Universität von Otago (Department Christchurch Health and Development Study) konnte durch eine Studie die weit verbreitete Auffassung widerlegen, wonach eine Abtreibung für eine Frau kaum psychische Nebenwirkungen habe. Dabei, so der Wissenschaftler, handle es sich um ein traumatisches Ereignis. Es sei ein Skandal, schreibt er in einer amerikanischen Zeitschrift für Kinderpsychologie und -psychiatrie , dass die psychischen Folgen eines chirurgischen Eingriffs, der in Amerika bei jeder zehnten Frau durchgeführt werde, bislang kaum Beachtung gefunden hätten. Fergusson tritt dafür ein, dass man angesichts der Spätfolgen von Abtreibungen bei Frauen eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen müsse, und erklärt, wie die Gesundheitssysteme belastet würden. Ich möchte noch hinzufügen,dass ärztliche Standesethik hier besonders gefragt ist. Die Verantwortlichen dürfen sich nicht mehr für Herrschende instrumentalisieren lassen, in diesem Fall für die herrschende Meinung, das alles sei doch nicht so schlimm.
Damit mich keiner missversteht: Für jeden Vater, für jede Mutter, die sich zur Tötung entschließen, habe ich schmerzliches Verständnis. Ich weiß, dass sie oft keinen anderen Weg wissen. Und wenn sie einen Weg gewiesen bekommen, sind es Angehörige, Freunde und sonstige Ratgeber, die in dunkelsten Farben die Hölle ausmalen, die auf sie wartet, wenn das Kind geboren werden würde. Was sollen da junge und auch ältere werdende Eltern anderes tun, als den Beginn ihres eigenen Lebens durch eine Abtreibung erneut aufzuschieben, statt mit dem werdenden Leben in ihrer Mitte schon jetzt damit anzufangen?
Mit dem Ende des Lebens sieht es ebenso bitter aus: Wir legen unsere Alten auf
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