Das Leben Findet Heute Statt
Pflegestationen und lassen jeweils 40 von ihnen durch zwei Altenpflegerinnen betreuen. Wir wollen ja eine schöne Zukunft haben, darum dürfen auch unsere Alten nichts kosten. Ich bin sicher, dass spätere Generationen über uns den Kopf schütteln werden, wenn sie in Betracht ziehen, für wie kulturell wir uns hielten. Man wird uns in 100 Jahren zu Barbaren erklären, dass wir pro Jahr so viele ungeborene Menschen im Namen der Freiheit von Mann, und vor allem von Frau, in den Mülleimer geworfen haben. Man wird nicht verstehen, dass es dabei um die Wahrung der persönlichen Zukunft und das Recht auf Selbstentfaltung ging. Ebenso wird man schockiert sein, wie wir die Alten in ihrem Kot und Urin zu lange haben liegen lassen und dass wir Altenpflegerinnen so schlecht bezahlten. Es wird ihnen auch unerklärlich sein, dass wir uns ein Zweiklassengesundheitssystem erlaubten.
Sie werden uns die neuen Mauern an der Straße von Gibraltarzur Abwehr von Flüchtlingen vorhalten, auch die zwischen Israel und Palästina, zwischen den USA und Mexiko. Und die Handelsbeschränkungen, mit denen die Reichen den Armen die Nahrungsmittel dieser Erde vorenthalten – obwohl genügend davon in jedem Jahr von der Erde hervorgebracht werden.
Man wird uns nicht verstehen, auch wenn wir dafür die besten Gründe ins Feld führen werden. Wir sind natürlich barbarisch aus gutem Grund. Hat man die falschen Voraussetzungen, handelt man auch falsch. Wenn man lange genug sagt, dass die schöne Zukunft der Erde von Terroristen bedroht sei, halten es am Ende alle für richtig, in den Irak einzufallen und einen Krieg anzuzetteln, der schon jetzt mehr Opfer gekostet hat als alle Terroranschläge dieser Welt zusammen.
Die Vertröstungsstrategie funktioniert immer: Wir müssen jetzt ein wenig Krieg machen – als wenn das ginge –, damit wir später Ruhe haben. Es ist leider jetzt nötig, die Kosten im Pflegebereich zu senken, damit wir später keine Probleme bekommen. Wir können unser Kind jetzt nicht gebrauchen, weil wir uns ja gerade auf die Zeit vorbereiten müssen, in der wir eins wollen. Zu diesen Aussagen ist auch ein Schweigen der Gesellschaft mitverordnet. Man hat das alles hinzunehmen. Wer anfragt, verliert. Wer anmahnt, kann sich bald neue Freunde suchen. Wer demonstriert, gilt als Spielverderber.
Für Franziskus war es klar, dass man kräftig danebenliegen kann. In einem Regeltext schreibt er: «Wenn sich aber irgendwo unter den Brüdern ein Bruder fände, der fleischlich und nicht geistlich wandeln wollte, dann sollen die Brüder, mit denen er zusammen ist, ihn in Demut und Sorgfalt ermahnen, ihn aufmerksam machen und zur Rede stellen. Wenn nun jener sich nach dreimaliger Ermahnung nicht bessern wollte, dann sollensie ihn so bald wie möglich zu seinem Minister und Diener schicken oder ihn demselben anzeigen. Und der Minister und Diener soll so mit ihm verfahren, wie er es vor Gott am besten erachtet.»
Wohlgemerkt, es geht nicht um eine Straftat, sondern um Kritik am Lebenswandel. Wir können mit unseren Ansichten danebenliegen. Wir müssen uns deswegen vorbereiten, kritisiert zu werden. Es geht die Welt nicht unter, wenn mich einer mal in Frage stellt. Oder überhaupt eine Frage stellt. Was ich mache, geht eben nicht nur mich etwas an. Es sind immer alle anderen mit betroffen.
Dieser brüderliche Dialog, der auch ein moralisches Urteil nicht scheut, ist dringend notwendig. Wie würde sich Deutschland schon zum Besseren verändern, wenn endlich mal echte Fragen gestellt werden dürften. Was für eine fröhliche Aufregung gäbe es in unserem Land, wenn die Fragen des Lebens und des Überlebens bis in die Mitte der Gesellschaft vordringen würden? Darf man wirklich alle Trisomie-2 3-Föten abtreiben? Ist es richtig, dass wir Wasser trinken, das über 1500 Kilometer Landweg hinter sich hat? Warum spart man nicht an Polizei und Militär und stattet stattdessen die Schulen personell besser aus? Ist es richtig, dass in den Kiosken in der Nähe von Schulen auch Hefte der Nacktbilderindustrie hängen?
Das richtige Handeln fängt heute an. Und jeder ist verpflichtet, nach rechts und links zu schauen. Das sind die Menschen, für die wir Menschen sind. Keiner kann sich von der Pflicht lossagen, hier und jetzt etwas zu tun oder zu lassen. Folgen hat beides. Wenn du dich nicht aktiv entscheidest, dann wird für dich entschieden. Diese Tatsache kann zu einem bösen Erwachen führen. Im Sprechzimmer passiert es mir häufiger, dass 3
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