Das Leben in 38 Tagen
jeweils ein einzelner LKW-Fahrer, aß
sein Abendessen und starrte dabei stumm auf den Bildschirm.
Dies
war ein lustiges Bild, aber dass keiner mit dem anderen sprach, fand ich schon
komisch! Nur der Fernseher sprach! Manchmal streiften uns auch die
abschätzenden Blicke mancher Männer, denen ein kleines Abenteuer sehr gelegen
gekommen wäre. Wer weiß, wie lange sie schon so unterwegs gewesen waren, wie
viele Tage oder Wochen! Und fast immer waren sie allein, ob am Tag oder in der
Nacht. Die wenigsten der Männer machten den Eindruck, als ob es ihr Traumjob
sein würde, LKW zu fahren...
Heidemarie
und ich gingen nicht so spät ins Bett, um den Luxus des Doppelzimmers für uns
allein noch richtig auskosten zu können. Obwohl wir Elkes Abenteuer noch einmal
besprochen hatten und trotz der unüberhörbaren Straßengeräusche schliefen wir
beide doch herrlich. Am Morgen empfand ich den Zustand meiner Füße als so gut
wie schon lange nicht mehr. Die Massage und das Bad hatten Wunder gewirkt! Ich
war froh, dass wir uns gestern für das Hotel entschieden hatten, und zu zweit
war der Preis ja auch erschwinglich gewesen. Nach einem kleinen Frühstück
liefen wir beide gut gelaunt und mit frischem Mut los, um den letzten großen
Pass, den O Cebreiro, zu überwänden. In einem kleinen, hübschen Dorf kehrten wir
in einer echten Familienbäckerei ein und ließen uns noch einmal Kaffee,
Orangensaft und frisches, warmes Brot schmecken. Von dort konnte man direkt in
die Backstube sehen und den Bäcker bei der Arbeit beobachten. Einige Radpilger
hatten auch schon hier Platz genommen und wir unterhielten uns ein wenig.
Dieser Bäcker hatte wohl die Zeichen der Zeit erkannt mit seinem kleinen Café.
Das Wohnhaus war großzügig und geschmackvoll in einem üppigen Garten gebaut und
hob sich deutlich von den anderen kleineren und älteren Häusern des Ortes ab.
Allerdings hat auch nicht jeder das Privileg, direkt am Jakobsweg zu wohnen und
Bäcker zu sein! Langsam verließen wir das Tal des Valcarce -Flusses
und nun ging es stetig nach oben. Den Rucksackservice hatten wir leider nicht gefunden,
aber Heidemarie fühlte sich heute auch stark genug, den Rucksack selbst zu
tragen. Die Berge lagen steil und dicht bewaldet vor uns, große alte Bäume,
dichte Sträucher, Farne, Moose und bunte Feldblumen säumten den Weg, der zwar
anstrengend, aber gut zu laufen war. Ab und zu schickte ein kleiner Bach sein
plätscherndes Wasser bis zur Straße hinunter. Die Sonne schien und die Vögel
zwitscherten.
Mich
lockte es auf einmal, die Bergkuppe zu erreichen. Ganz oben wollte ich stehen
und den weiten Blick nach allen Seiten genießen. Von diesem Wunsch getrieben,
fühlte ich mich voller Kraft und Elan, auch wenn der Weg immer steiler und
steiler wurde. Ich wusste, dass er trotzdem immer weiter führen und nicht
einfach irgendwo zu Ende sein würde...
Bei
diesem Gedanken erinnerte ich mich einmal mehr an meine Kindheit und an meinen
Traum, einmal bis auf den Berggipfel westlich von unserem Heimatort laufen zu
können. Immer bei gutem Wetter sah man abends hinter den Bergen die Sonne
untergehen, die ich schon damals wie ein Sinnbild meiner kindlichen Sehnsucht
empfand. Ich träumte davon, einmal wie die Sonne ganz oben zu stehen und hinter
die andere Seite des Berges blicken zu können. Den freien Blick in die Welt
hinein, den man von vielen anderen Gipfeln genießen konnte, den stellte ich mir
von diesem verbotenen Berg besonders schön vor. Dann malte ich mir aus, welche
Wege von dort in den nächsten Ort führen würden, der zwar unser Nachbarort war,
aber den wir Kinder noch niemals gesehen hatten. Irgendwann vor meiner Erinnerung
war mitten auf dem Berg einfach eine Grenze dazwischen gebaut worden und keiner
verstand so recht, warum. Hier wurden Menschen plötzlich und oftmals für immer
getrennt, zwischen denen Jahrhunderte enge Bindungen bestanden hatten. Nur aus
den Erzählungen meines Vaters und meiner Oma konnte ich mir Vorstellungen von
dem geheimnisvollen Ort, der unser Nachbardorf war, und dem für mich fremden
Land hinter dem Berg machen.
Für
uns Kinder war das stets ein interessantes und beliebtes Gesprächsthema, welches
unerschöpflichen Stoff für unsere Phantasie bot. Gerüchte und
Fluchtmöglichkeiten machten die Runde. Und einige Jugendliche haben
tatsächlich, teilweise erfolgreich, versucht, die Grenzanlagen zu überwinden
und das fremde, verlockende Land hinter dem Berg zu erkunden. Ich kann mich
erinnern, dass einmal
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