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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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Heizung und auch keine Glasfenster in den Schlafräumen. Nur die
Fensterläden schützten hier vor Kälte. Wenigstens ein paar Decken lagen in
jedem Raum auf einem Stuhl. Das und ein paar Haken an der Wand stellten das
einzige Mobiliar dar. Da ich heute erst der zweite Pilger hier war, suchte ich
mir das Bett aus, das am wenigsten zu wackeln schien.
    Ich
genoss den Luxus, als Erster zu duschen, und durfte danach erst einmal den
ganzen Raum wischen, weil das Wasser unter dem Duschvorhang überall hingelaufen
war. Vorsorglich standen schon Eimer und Wischmop in
der Ecke bereit. Dann wusch ich meine Wäsche in dem einzigen Waschbecken, wobei
ich immer ein Wäschestück in den Abfluss stopfen musste, um damit den fehlenden
Stöpsel zu ersetzen. (Hinterher fand ich allerdings noch eine Schüssel!) Nach
der ganzen Anstrengung durfte ich meine Wäsche in die Sonne hängen und mich
selbst dazusetzen.
    Wie
herrlich, hier vor dem Haus zu sitzen, alles von sich zu strecken und den
Augenblick zu genießen! Alle Sorgen, Schmerz und Trauer schienen in weite Ferne
gerückt. Ich hatte das Gefühl, als ob der Weg mir jeden Tag etwas von meiner
inneren Last abnehmen würde. Für mich war der Rucksack inzwischen zu einem
Symbol für meine Probleme geworden, von denen ich ja hoffte, wenigstens einige
auf dem Jakobsweg lösen zu können. Jeden Morgen schulterte ich mit dem Rucksack
auch meine Sorgen und hoffte dabei mit jedem Kilometer, mein Herz etwas zu
erleichtern und der Leere im Kopf, die ich erreichen wollte, ein Stückchen näher
zu kommen.
    Erstaunlich
empfand ich auch, dass alles, was man brauchte, im Rucksack Platz fand. Ich
hatte noch nichts vermisst von den Dingen, die man zu Hause für unentbehrlich
hält. Im Gegenteil, man gewöhnte sich daran, nur mit dem Nötigsten auszukommen.
Vielleicht war das auch ein Grund, dass man alles um sich herum viel intensiver
wahrnehmen und erleben konnte. Äußerlichkeiten spielten auf einmal keine Rolle
mehr; wir sahen uns alle als gleichwertige Pilger an; gesellschaftlicher
Status, Aussehen, Alter, Vermögen, Nationalität, das alles wurde zu
Nebensächlichkeiten. Wichtig war nur, dass man gehen konnte, dass man sich
jeden Tag vorwärts bewegte, dieses intensive Gefühl, das man im täglichen Leben
bei den immer gleichen Verrichtungen schnell mal verlieren kann.
    Ja,
ich hatte nur ein T-Shirt, eine langärmlige Bluse, die mir bei meinem
Sonnenbrand sehr gute Dienste geleistet hatte, eine dünne Wechselhose, ein Mal Unterwäsche plus zwei Slips und zwei Paar Strümpfe
im Rucksack, dazu noch eine Fleecejacke , wenn es kalt
wurde, und meine Regenjacke. Wenn man abends keine Möglichkeit zum
Wäschewaschen hatte, zog man sich eben nach dem Duschen die frischen Sachen an
und lüftete die anderen nur aus, um sie am Morgen zum Laufen wieder anzuziehen.
Waren die Sachen am Morgen noch nicht trocken, so wurden sie einfach mit
Wäscheklammern am Rucksack befestigt. So sah man schon öfter Strümpfe oder
Slips an den Rucksäcken baumeln, was mitunter lustig aussah. Für alle Probleme
schien es eine Lösung zu geben und einer schaute sich dabei die Tricks vom
anderen ab, so dass man jeden Tag etwas dazulernen konnte.
    Als
ich so in Gedanken versunken im Hof der Herberge in der Sonne saß, gesellte
sich eine lustige österreichische Männergruppe unterschiedlichen Alters zu mir.
Sie waren heute fast die doppelte Strecke gelaufen wie ich, aber an den
Männern, die zu Hause auch öfter liefen, durfte man sich einfach nicht messen.
Es sollte ja auch kein Wettrennen sein, sondern jeder musste seinen eigenen
Rhythmus auf dem Camino finden. Die Männer fühlten sich nach vierzig Kilometern genau so , wie ich mich nach zwanzig Kilometern
fühlte; kaputt und glücklich. Wahrscheinlich hätten sie sich bei zwanzig
Kilometern noch nicht so gut gefühlt, dachte ich. Eine junge Deutschitalienerin
saß noch mit mir zusammen, die heute als erste Pilgerin hier angekommen war,
als die Männer zu unserer Überraschung ihre mit Rotwein gefüllten
Wasserflaschen auf den Tisch stellten. „Hier, Mädels, nehmt’s en Schluck, bedient’s enk ruhig, es is vom Kloster Irache!“ Ich erzählte, dass
um die Mittagszeit, als ich mit Werner dort gewesen war, kein Rotwein geflossen
war, und sie freuten sich darüber. „Siehst, drum ham wir dir den Wein nachbracht!“ So kam ich also auch noch in den Genuss des viel
gepriesenen freien Pilgerrotweines.
    Es
wurde noch ein lustiger Abend mit den Österreichern. Ich war glücklich,

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