Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
Vom Netzwerk:
unterhielten uns
noch ein bisschen mit dem holländischen Ehepaar. Man musste immer wieder
feststellen, dass die von Freiwilligen geführten christlichen Herbergen die
beste Atmosphäre boten. Sie verkörperten für mich wirklich uneigennützige
Nächstenliebe und den wahren Geist einer Pilgergemeinschaft.
    Piet
freute sich über unser Lob und erzählte uns, dass er selbst mehrmals den
Jakobsweg gelaufen sei, obwohl er an starkem Asthma litt. Er hatte sogar ein
Buch über seine Erfahrungen geschrieben und gab uns stolz seine E-Mail-Adresse.
    Die
Verabschiedung fiel entsprechend herzlich aus. Piet und seine Frau begleiteten
uns bis vor die Tür, küssten und umarmten uns. Ich fand es nicht einmal
unpassend. Die Sonne schickte schon erste wärmende Strahlen aus und die Kälte
der Nacht trat den Rückzug an. Die Vögel zwitscherten und die Luft war herrlich
klar. Von allen diesen äußeren Umständen ermutigt, spürten wir unsere frischen
geistigen und körperlichen Kräfte und liefen voller Tatendrang hinaus in einen
neuen ereignisreichen Tag.
    Wir
waren die Eroberer der Meseta! Wenn Gott für uns war,
wer wollte dann gegen uns sein?
    Kamen
jetzt etwa endlich die lang ersehnten Flügel, von denen die anderen Pilger
gesprochen hatten?
    Diese
Flügel konnten wir heute gut gebrauchen, genau wie das gute Wetter, denn laut
meinem Plan, nach dem ich seit gestern lief, mussten wir nun 28 Kilometer bis
zum nächsten Etappenziel Mansilla de las Mulas zurücklegen. Auf dieser einsamen
Strecke würden wir nur zwei Orte durchqueren. Danach könnten wir dann morgen
bereits León erreichen und damit die Meseta hinter uns
lassen. Juhu! Wie schön war es doch, zu dieser Jahreszeit zu laufen! Man konnte
sich gut vorstellen, dass bei großer Hitze im Sommer diese kahle Hochebene ein
Problem darstellen würde. Hape Kerkeling war übrigens
auch von Sahagún bis León mit dem Zug gefahren, aber ich würde es schaffen,
alles zu laufen, oder etwa nicht?

20.
León und der Abschied von Carol
     
    Der
Weg verlief heute fast genau wie gestern kilometerweit ziemlich gerade neben
einer zum Glück wenig befahrenen Landstraße entlang. Auch heute gab es zwischen
weiten Gras- und Schilflandschaften mehrere Tümpel mit Fröschen, junge Platanen
am Wegrand und viele Bänke. Hier war scheinbar mit viel Liebe ein neuer
Pilgerweg angelegt worden. Selbst den festen Sandboden unter den Füßen
empfanden wir als besonders angenehm zum Laufen, weder zu hart noch zu weich.
Einmal unterquerten wir die Autobahn und sahen in der Nähe einen Zug
vorbeifahren. Sonst begegneten uns hauptsächlich Radfahrer, die freundlich mit
„Buen camino“ grüßten. Ab und zu nutzten wir die einladenden Bänke zu einer
Rast. Carol begann dann immer mit ihren Stretchingübungen ,
um die Muskeln zu lockern. Sie erzählte mir, dass sie sich mit diesen Übungen
schon seit einigen Monaten auf den Weg vorbereitet hatte, da sie kaum Sport
trieb. Man spürte, dass Carol ein Mensch war, der alles, was er tat, sehr
gründlich und mit Überzeugung ausführte. Aber sie kümmerte sich auch sehr
liebevoll um andere Menschen. So bot sie mir zum Beispiel immer eine
Schultermassage an, was ich sehr gern annahm. Wir beide boten bestimmt ein
lustiges Bild, wenn Carol ihre Stretchingübungen an
der Bank machte und ich mich im Nachahmen versuchte...
    Als
wir einige Kilometer gelaufen waren, erblickten wir auf einmal am tagelang
endlos grau gebliebenen Horizont wieder dunkle Bergsilhouetten. Die Berge von
León! Nun hatten wir wieder ein sichtbares Ziel und die Strecke kam uns nicht
mehr ganz so endlos und eintönig vor. So schön die Ebene auch zum Laufen war,
in den Bergen gab es doch mehr Abwechslung und man konnte gut auf ein Ziel oder
die zurückgelegte Strecke blicken. Außerdem trug sich der Rucksack bergauf
erfahrungsgemäß sogar etwas leichter, weil sich das Gewicht dabei durch die
gebückte Haltung besser auf dem gesamten Rücken verteilen konnte.
    Nach
mehr als zwanzig Kilometern spürten wir nichts mehr von den Flügeln, die wir
heute Morgen erhofft und vermutet hatten. Wir beide waren schon ganz schön
geschafft. Die Schultern und die Füße schmerzten wie verrückt. Am liebsten
wären wir in der Herberge in Reliegos geblieben, wo wir auch Chris und Helen
trafen. Aber nein, ich hatte ja jetzt einen festen Plan und danach musste ich
mich heute noch weitere 6,5 Kilometer vorwärts quälen. Auch Carol entschied sich,
an meiner Seite zu bleiben und weiter mit mir zu kämpfen, obwohl sie

Weitere Kostenlose Bücher