Das Leben in 38 Tagen
keinen
Zeitdruck hatte.
Endlich
erreichten wir unser heutiges Etappenziel. Mansilla de las Mulas stellte sich
als ein schmuckes Städtchen von knapp 2000 Einwohnern heraus und erinnerte mich
damit mal wieder an meine Heimatstadt. Kleine, schmale Gässchen mit einander
stützenden zwei- bis dreistöckigen Häusern und ab und zu einem Geschäft oder
einer Bar in den unteren Etagen wechselten sich mit viereckigen,
baumbepflanzten Plätzen ab. Mitten in einer dieser Gassen stand ein
blumengeschmücktes Fachwerkhaus mit der Aufschrift „ Auberge “,
unsere heutige Unterkunft. Von einem Deutschen, Wolf Schneider, schon jahrelang
geführt und von meinem Pilgerführer besonders gelobt, umfing uns gleich eine freundliche
Atmosphäre. Das alte Haus umrahmte vierseitig einen wunderschönen Innenhof mit
vielen liebevoll gepflegten Topfblumen und... vielen Pilgern. Die Herberge
hatte sich scheinbar herumgesprochen, denn alle Stühle im Hof waren schon
besetzt und selbst an den Wäscheleinen schien kein Plätzchen mehr frei zu sein.
Einige Pilger badeten ihre wunden Füße genüsslich in Salzwasser. Dies sollte
das Rezept des Hospitalero gegen Blasen sein.
Er
selbst nahm sich täglich die Zeit, sich sämtliche Füße der bedürftigen Pilger
anzusehen und sie, wenn notwendig, gleich zu verarzten. In seinem kleinen Büro,
das aussah wie ein Museum, weil es übervoll war mit Andenken an den Weg,
Erinnerungen von Pilgern und allem möglichen Krimskrams, führte er auch die
Behandlungen und Beratungen durch. Wolf Schneider war ein schmächtiger, älterer
Mann, der trotz seiner behänden Bewegungen Herzlichkeit und Ruhe ausstrahlte.
Seine Helferin, eine junge Deutsche, führte uns in die obere Etage, wo schon
fast jedes Bett belegt war. Carol sah mich Hilfe suchend an. Wieder eine
unruhige Nacht? Die junge Frau hatte Mitleid und öffnete einen weiteren
Schlafraum für uns. Wir waren glücklich, uns ausbreiten zu können. Schließlich
kamen noch drei nette Franzosen in den besten Jahren zu uns und wir flachsten
mit ihnen, obwohl nur einer etwas Deutsch konnte. Nach einem gemütlichen
Abendessen in einer der Bars gingen wir zusammen schlafen. Im Bett dachte ich
daran, dass ich heute genau drei Wochen unterwegs war und seitdem jeden Tag
gelaufen bin. Meine Füße hatten mich noch nicht im Stich gelassen, obwohl mir
das Laufen manchmal ganz schön schwer fiel. Aber das sollte auch so sein.
Irgendwo wollte ich doch an meine Grenzen gehen, um vielleicht doch noch die
innere Leere zu erreichen. In Erinnerung an die erlebnisreichen Tage und die
wunderbar glücklichen Fügungen schlief ich ein. Es wurde eine ruhige, erholsame
Nacht. Trotzdem nahm ich mir vor, mir in León ein Hotel zu suchen, wo ich
endlich einmal wieder ein Bad und eine Toilette für mich hatte.
Am
nächsten Morgen verabschiedeten sich die drei lustigen Franzosen, während wir
zwei älteren Frauen noch ein bisschen Zeit brauchten. Schließlich mussten die Stretchingübungen noch durchgeführt und die Füße verarztet
werden. Carol hatte das gleiche Problem wie ich mit dem Hallux valgus . Sie besaß noch ein ganz spezielles Pflaster
für die problematischen Stellen, welches sie auch schon für mich versucht hatte
zu besorgen, allerdings ohne Erfolg .. Ich fand es nur
rührend, wie sich Carol immer um mich kümmerte. Das tat mir schon gut, meiner
sehnsüchtigen Kinderseele...
Als
wir beide dann anschließend gemütlich in einer Bar frühstückten, stürzte auf
einmal Antonio, der junge Spanier, herein und fiel uns freudestrahlend um den
Hals. „My Credencial, I have found my Credencial again,
that’s a wonder, really !“ Der kräftige dunkellockige
Antonio hatte seinen Rucksack abgesetzt und tanzte um uns herum, während der
Wirt verwundert ansah. Wir waren Antonio in der Herberge von Terradillos de
Templarios begegnet, wo er kaum ansprechbar war vor Trauer über den Verlust
seines Pilgerausweises, des Credencial. Wohl konnte man unterwegs einen neuen
Pilgerausweis bekommen, aber die vielen Stempel als Nachweis über die
gelaufenen Kilometer konnte niemand ersetzen. In Terradillos de Templarios
hatten wir versucht, Antonio zu trösten, und ihm von unseren erst vermissten
und dann wiedergefundenen Sachen, der Schere und der Sonnenbrille, erzählt.
Aber wer hätte gedacht, dass Antonio sein wichtiges Dokument wiederfinden
würde! In diesem Moment waren wir uns sicher; es gab sie, die kleinen Wunder
auf dem Weg. Sogar ganz nah, in unseren Rucksäcken! Es war so schön,
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