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Das Leben ist ein Kitschroman

Das Leben ist ein Kitschroman

Titel: Das Leben ist ein Kitschroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Benning
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hatte ich Angst, das Ritual würde in die zweite Runde gehen, aber dem war nicht so. Sie nahm ihr Strickzeug auf den Schoß, heute einen Schal in sehr grellen Farben, die sicher auch im Dunkeln sichtbar waren, stellte eine Thermoskanne neben sich auf den Boden und reichte mir einen Plastikbehälter mit Kuchen. Dankbar stopfte ich mir ein Stück in den Mund.
    »Bist du erst frisch von zu Hause ausgezogen?«, wollte Mechthild wissen. »Ich meine nur, weil du jetzt bei Luise wohnst.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Das ist eher eine Notlösung. In meiner Wohnung hat es gebrannt.«
    »So richtickes Faier?« Olga ließ auf der Stelle die Nadeln ruhen. »Ihst ja schrääcklich!«
    »Halb so wild«, sagte ich. »Ich wohnte noch in meiner alten Wohnung, aber bald hätte ich auf der Straße gestanden. Und da Luise jemanden brauchte, der ihre Wohnung hütet, hat das gut gepasst.«
    »Alles im Leben hat zwei Seiten.« Mechthild schlug ein zerfleddertes Kreuzworträtselheft auf und nahm einen Kuli aus der Tasche. »Gestern bin ich bei einer Sache nicht weitergekommen. Weißt du ein anderes Wort für einen Pass für Staatenlosen?«
    »Hat maine Tante Ludmilla«, brummte Olga. »Macht ihmmer aine Mängke Ärger.«
    Ob der Pass oder die Tante Ärger machte, blieb unklar, Mechthild schätzte solche Einwürfe jedenfalls nicht.
    »Deine Verwandtschaft ist hier nicht gefragt.«
    »Nansenpass«, unterbrach ich die Diskussion.
    »Das ... stimmt!« Strahlend schrieb sie das Wort in die Kästchen.
    Ich wollte mich gerade nach dem nächsten Rätselwort erkundigen, als meine Kolleginnen synchron den Zeigefinger zum Mund führten.
    »Pssst!«, flüsterte Mechthild. »Jetzt preist Alfredo mit feurigen Worten die Liebe!« Sie summte mit einem solchen Elan mit, als würde sie vorne auf der Bühne stehen. Auch ich hatte diese Arie schon oft gehört, musste jedoch zugeben, dass ich bei der Melodie eher an eine Pizzawerbung im Fernsehen dachte. Beide Frauen wiegten sich aber begeistert im Takt und ich beschloss, diese Tatsache für mich zu behalten.
    »Aah!« Alfredo hatte zu Ende gesungen und die Damen waren glücklich.
    »So aine scheene Lied«, seufzte Olga.
    »Schade, dass die Schandall nicht da ist«, fand Mechthild.
    Genau. Die hatte ich immer noch nicht zu Gesicht bekommen. »Arbeitet die nicht mehr hier?«
    »Haht Urrlaub«, erklärte Olga. »Ist mit Fraind verraist.«
    »Nächste Woche wirst du sie kennenlernen«, sagte Mechthild. »Aber jetzt musst du mir mal verraten, was die mit Banale Redensart meinen, letzter Buchstabe ein Z?«

11
    Als ich gegen elf in die Georgenstraße einbog, fühlte ich mich regelrecht beschwingt. Wieder ging ein Tag zu Ende, an dem ich neue, höchst ungewohnte Erfahrungen gemacht – und gemeistert hatte. Erfahrungen mit Leuten, mit denen ich vor einer Woche wohl kaum ins Gespräch gekommen wäre. Denn da war ich, ganz ehrlich gesagt, auch noch eher auf Kackmadam gestrickt gewesen.
    Während ich über den Einfluss, den Eltern auf ihre Kinder haben, nachdachte, erreichte ich die Hausnummer 18 und hatte das Hoftor fast durchquert, als ich Stimmen hörte. Die von Ineke und – Oh Gott, bitte nicht!
    Auf Zehenspitzen schlich ich mich an der Außenwand des Eroscenters entlang, bis ich Schutz hinter einem der Müllcontainer gefunden hatte. Anscheinend war heute Internationaler Verstecktag und keiner hatte es mir gesagt.
    »Du musst mich glauben«, hörte ich meine Nachbarin sagen. »Hier wohnt nur ein Charli.«
    »Sie nennt sich Charli, aber sie heißt Charlotte!« Daniel hatte seine sturen fünf Minuten.
    »Das kann schjon sein. Und sie hat heute Abend Dienst. Und danach hat sie bestimmt kein Lust mehr auf Besuch.«
    »Dienst?« Daniels Stimme schoss um eine Oktav in die Höhe.
    »Genau. Dienst.«
    Vorsichtig linste ich um den Container herum und sah die beiden im Licht der Türfunzel stehen. Wenn ich Daniels Gesichtsausdruck richtig deutete, stellte er sich gerade vor, wo dieser Dienst stattfand: im Gummibärchenparadies.
    »Ich würde nicht auf ihr warten«, sagte Ineke. »Es kann spät werden und dann ist sie bestimmt sehr müde.«
    Genau, betete ich stumm. Sehr, sehr müde. Und jetzt hau bitte, bitte ab!
    »Soll ich Charli was van dich ausrichten?«
    »Nein, ist nicht nötig.« Daniel wünschte meiner Nachbarin eine gute Nacht und schlurfte resigniert zur Straße.
    Dieses plötzliche Wiedersehen löste eine Flut von Bildern in mir aus: Helmut Krause. Sein Großraumbüro. Und ich, im Businesskostüm, die Aktenmappe

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