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Das Leben ist ein Kitschroman

Das Leben ist ein Kitschroman

Titel: Das Leben ist ein Kitschroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Benning
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Mutter trägt solche Sachen wohl nicht?«
    Ich stellte mir meine Mutter in diesem Kittel vor und musste mich beherrschen, nicht laut loszulachen. »Nein, das entspricht nicht ganz ihrem Typ.«
    »Verstehe«, brummte Mechthild. »Solche Kackmadams habe ich gefressen!«
    Gegen halb acht betraten die ersten Besucher das Foyer und ich war erstaunt, wie viele Leute Mechthild mit Namen begrüßte.
    »Mächthild arbaitet schon sähr langke hier«, erklärte Olga, während wir die Klamotten auf die Haken verteilten.
    Ich stellte mich anschließend neben Mechthild an die Theke und lauschte vergnügt ihren Anmerkungen.
    »Sehen Sie diese beiden dünnen Leute da bei der Tür?«
    Ich nickte.
    »Professor Wolf und Gattin. Bin mal gespannt, ob sie ohne Streit bis zur Pause durchhalten.«
    Ich wollte sie gerade fragen, was passieren würde, wenn das nicht der Fall war, als ich zwei Gesichter in der Menschenmenge aufblitzen sah. Zuerst dachte ich, es sei Einbildung, doch Sekunden später wurde ich eines Besseren belehrt. Sofort ging ich in die Hocke und machte mich so klein wie möglich.
    »Fehlt Ihnen irgendwas?«, fragte Mechthild, als ich dort unten verharrte.
    Ich gab ihr ein Zeichen, sich zu mir herunterzubeugen.
    »Was ist denn?«
    »Meine Eltern«, flüsterte ich. »Sie kommen direkt auf uns zu. Wenn die mitkriegen, dass ich hier arbeite, machen sie mir die Hölle heiß.«
    »Verstehe.« Mechthild stellte sich wieder hin und nahm die nächsten Jacken und Mäntel in Empfang, während sie leise mit Olga tuschelte.
    Es war eng dort unten und ich wusste, dass ich in dieser Stellung nicht lange durchhalten würde. Meine Kolleginnen unterhielten sich jedoch mit den Leuten, als hätte ich nichts gesagt, und ich überlegte schon, ob ich es wagen sollte, auf allen vieren zu den Kleiderständern zu kriechen. Doch dann bückte Olga sich kurz.
    »Pass auf! Glaich Kääp, dann wir dich bringken nach hihnten.«
    Ich hatte keinen Schimmer, was sie damit meinte, aber im nächsten Moment hörte ich, wie Mechthild das Cape einer Frau in den höchsten Tönen lobte. Kaum hatte sie es über die Theke gezogen, zog ihre Hand mich hinein und sie schob mich samt Umhang zu den bereits hängenden Mänteln.
    Sie sah sich kurz über die Schulter. »Bleiben Sie einfach hier stehen. Ich sage Bescheid, wenn die Luft rein ist.«
    Von meinem Versteck aus sah ich, dass ich gerade zur rechten Zeit gerettet worden war, denn nun standen meine Eltern zusammen mit einem befreundeten Paar vorne und bezahlten bei Mechthild die Garderobengebühr.
    Als sie die Mäntel nach hinten brachte, blieb sie neben mir stehen. »Welche von denen ist Ihre Mutter?«
    »Die mit der dunkelblonden Kurzhaarfrisur«, flüsterte ich.
    Meine Kollegin musterte sie über den Rand ihrer Brille.
    »Wie ich's mir gedacht habe: eine Kackmadam.«
    Als die Türen des Theatersaals sich geschlossen hatten und die Besucher den ersten Klängen der Ouvertüre von La Traviata lauschten, stellten wir unsere Klappstühle so hin, dass wir das Foyer gut im Blick hatten und ich jederzeit in Deckung gehen konnte.
    »Endlich mal wieder eine schöne Oper«, sagte Mechthild zufrieden. »Kennen Sie Verdi?« Sie gab mir eines der Programmhefte, die wir verkauften, und summte die Melodie fehlerfrei mit.
    Ich schlug die erste Seite auf und erfuhr, dass La Traviata auf Deutsch »Die vom Wege Abgekommene« bedeutete. Sehr passend zu meiner derzeitigen Situation.
    »Jätzt ihst hechste Zait für aine Stärkungk!« Olga zog ihre überdimensionale Tasche zu sich heran, förderte drei kleine Fläschchen zutage und schraubte die Verschlüsse ab. Dann gab sie Mechthild und mir je eines und hob das eigene.
    »Auf unsärä Scharrelotte!«, rief sie fröhlich. »Und auf aine gute Zusahmenarbait!«
    »Auf unsere Scharlodde! Und auf eine gute Zusammenarbeit!«, wiederholte Mechthild.
    Wir setzten die Flasche an den Mund und tranken den Inhalt auf ex.
    Im nächsten Augenblick glaubte ich, sterben zu müssen. Das Zeug war derart scharf, dass ich Angst hatte, es würde mir die Speiseröhre wegätzen. Hustend krümmte ich mich zusammen.
    »Ojäh! Sie kännt kaine guhte Schnaps«, rief Olga besorgt, während sie mir auf den Rücken klopfte. »Ojäh!«
    Als ich mich wieder gefangen hatte, wischte ich mir die Tränen aus den Augen und hielt das leere Fläschchen erneut hoch. »Auf eine gute Zusammenarbeit«, krächzte ich.
    Puuh! So etwas Schreckliches hatte ich meinen Lebtag noch nicht getrunken. Als Olga erneut in die Tasche griff,

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