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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Medusenhaupt die Stirn zu bieten: ein einziger Blick von ihm, und ich war wie versteinert.
    Ich musste eine endlose Moralpredigt über Respekt, Höflichkeit, Kreidediebstahl und Sachbeschädigung, richtige Wortwahl, republikanische Werte und Rechtschreibung über mich ergehen lassen.
    »Die Rechtschreibung, mein Junge! Die Recht-schrei-bung!«
    Mein Lehrer stand mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Lippen da und nickte bei jedem Satz zustimmend.
    Als die Glocke zum Pausenende läutete, ging er wieder ins Klassenzimmer und ließ mich als Geisel zurück. Herr Respaud setzte mich ans Strafpult neben dem Ofen.
    »Nehmen Sie Ihr Heft heraus, junger Mann!«
    Wie meine Strafe auch ausfallen würde, sie wäre ungerecht, denn ich hatte nichts anderes getan, als die Wahrheit herauszuschreien: Herr Laferté war ein Fiesling im grauen Kittel, der uns beim kleinsten Anlass anbrüllte und das Leben zur Hölle machte. Alle hassten ihn, umso mehr als unser voriger Lehrer, Herr Petitjean, ein unendlich geduldiger Riese gewesen war, den wir alle gern zum Vater gehabt hätten.
    Der Direktor stimmte wohl mit meiner Sicht der Dinge überein, denn in den fünfhundert Zeilen, die er mir aufbrummte, war nicht vom Inhalt der Beschimpfung die Rede, sondern lediglich davon, dass
die Rechtschreibung ein hohes Gut
sei.
    Damals sah ich darin etwas wie eine Billigung meiner Tat.
    Dieser Herr Laferté war tatsächlich ein Blödmann, nur eben mit »d« statt mit »t«.
    Meinetwegen.
    Man schickte jemanden los, um meinen Vater bei der Arbeit zu benachrichtigen – Telefon gab es noch nicht. Er kam gegen 15  Uhr, nach der Mittagspause, um mich abzuholen. Alle anderen waren wieder in den Klassenzimmern. Ich saß klecksend über meinen Zeilen. Durchs Fenster sah ich, wie er das Tor aufstieß und mit großen Schritten über den leeren Hof eilte. Ich sah seinen kahlen Schädel unter den Bürofenstern vorbeirauschen. Er klopfte zweimal gegen die Glastür, Herr Respaud winkte ihn herein. Mein Vater begrüßte ihn mit einem dröhnenden »Herr Respaud!«, obwohl er ihn bei den örtlichen Gewerkschaftsversammlungen Emile nannte. Aber alles zu seiner Zeit, jeder an seinem Platz.
    In seinem alten Blaumann, die Schirmmütze tief in die Stirn gezogen, aufrecht wie die Gerechtigkeit selbst, hörte er sich an, was ich verbrochen hatte, ohne eine Miene zu verziehen. In seinem Blick lagen weder Stolz noch Achtung. Im Gegenteil, es zog ein Gewitter darin auf. Mein Ruhm bröckelte, lebt wohl, Glanz und Lorbeeren. Ich war als Rebell hereingekommen, von meinen Mitschülern verehrt, und nun stand ich als kleiner Hosenscheißer da, als Möchtegern-Aufwiegler, als kläglich gescheiterter Umstürzler, der nicht mal die Grundregeln der Rechtschreibung beherrschte …
    Der Direktor ließ sich lang und breit über meine Unaufmerksamkeit, meine mangelnde Sorgfalt und meine Frechheit aus. Dann drückte er meinem Vater die Hand und schloss: »Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, dass Ihr Sohn alles andere als ein Musterschüler ist, Herr Fabre.«
    Endlich gingen wir über den leeren Hof zum Ausgang. In der Klasse der Kleinsten sangen sie sehr falsch
Frère Jacques
. Mein Vater sagte den ganzen Heimweg lang kein Wort.
    Der Weg zum Schlachthof ist immer sehr lang.
    Ich erinnere mich noch an die Panik meiner Mutter, als ich mitten am Nachmittag mit meinem Vater zu Hause auftauchte. Ob ich verletzt sei? Oder krank?
    Da fügte ich der Liste meiner Vergehen noch Lüge und Feigheit hinzu, indem ich quäkte: »Ich hab nichts getan!«
    Mein Vater gab mir eine Ohrfeige und sagte dann in einem Ton, der nicht dazu einlud, ihn unter den Armen zu kitzeln: »Geh in dein Zimmer. Wir regeln das später.«
    Darauf gab es unsanft geschlossene Türen, Stühlerücken, undeutliche Stimmfetzen – der Familienrat beriet über meinen Fall. Das Ohr so fest an die Wand gedrückt wie die Schröpfköpfe, die meine Mutter mir setzte, wenn ich Bronchitis hatte, versuchte ich, ein paar Worte aufzuschnappen.
    Aber nichts. Null. Nada.
    Mein Vater klang sehr wütend. Die beschwörende Stimme meiner Mutter ließ mich vermuten, dass sie versuchte, mein Verhalten zu entschuldigen.
    Und plötzlich hörte ich über das Getuschel hinweg Uropa Jean rufen: »Dieser La-haferté ist doch wirklich ein Blö-hödmann!!«
    Da war ich auf einmal sehr erleichtert. Besser noch, reingewaschen. Ich war für mein Verhalten nicht verantwortlich, es waren nur die aufrührerischen Gene, die durchgeschlagen hatten.
    Wie

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