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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Schwindelanfall und ist schlimm gestürzt. Mit neunundachtzig, verstehen Sie. Er ist vorhin operiert worden, aber sie haben keinen Platz mehr im Aufwachraum. Heute Morgen war ein Busunfall, es kam in den Nachrichten, um die zwanzig Schwerverletzte. Deshalb sind sie unten voll belegt.«
    Ich lächle ihm zu, gebe zwei, drei dumme Floskeln von mir.
    Die alte Dame weint nicht mehr. Sie lässt ihren Mann nicht aus den Augen, klammert sich an seine leblose Hand wie an einen Rettungsring. Nichts existiert außer ihm.
    Komisch, fast beneide ich sie um ihren Schmerz.
    Allein sein heißt auch, sich um niemanden zu sorgen.

I n der Nacht verschlechtert sich der Zustand des alten Herrn, scheint es.
    Lange tuscheln der Stationsarzt, der Anästhesist, die Nachtschwester an seinem Bett, sie machen sich im gedämpften Schein der Nachtbeleuchtung leise zu schaffen. Schließlich heben sie ihn wieder auf eine Transportliege. Ich höre ihn stöhnen, sein Atem gurgelt in der Maske.
    Die Kolonne verschwindet im Flur, ich motze nicht einmal, weil sie die Tür offen stehen lassen.
    Ich sage mir, die alte Dame wird bald keine Hand mehr zu halten haben.
    Ich kann nicht wieder einschlafen.
     
    Der Tod lässt uns an den Tod denken, das liegt wohl nahe, nehme ich an. Der Tod der anderen bringt uns auf unseren eigenen, auf den unserer Lieben, auf die Möglichkeit unseres Verschwindens. Diese »Möglichkeit«, die unsere einzige Gewissheit ist, die wir aber mit einer seltsamen Skepsis behandeln, als könne man daran zweifeln. Wir leben alle im Wissen, dass wir auf den Tod zugehen. Wir tun, als wenn nichts wäre. Aber es genügt ein Unfall am Straßenrand, ein Verwandter, der von uns geht, ein Telefon, das mitten in der Nacht klingelt, ein Arzt, der ein komisches Gesicht macht, wenn er unsere Untersuchungsergebnisse anschaut, und schon ist er da, der Tod, der alte Mistkerl. Er legt uns die Hand auf die Schulter und jagt uns Schauer über den Rücken.
    Wenn Camille mich nicht aus dem Wasser gefischt hätte, wäre ich nicht mehr am Leben. Ich wäre tot, Punkt, aus. Das Herz hätte aufgehört zu schlagen, das Hirn zu denken. Alles wäre so plötzlich aus gewesen wie ein Fernseher, den man abschaltet. Ich würde kaum jemandem fehlen, da ich keine Erben habe und Annie entgegen jeder Statistik vor mir gegangen ist. Das Einzige, was ich der Nachwelt zu vermachen habe, ist mein Körper. Den will ich gerne hergeben, ganz und sofort.
    Ich wäre da für alle Vorschläge offen, aber die Abnehmer stehen nicht gerade Schlange.

E ines Nachts tat Uropa Jean seinen letzten Seufzer, mit dreiundneunzig Jahren.
    Abgesehen von meinem Hamster war er mein erster Toter.
    Wir fanden ihn in seinem Bett, kerzengerade auf dem Rücken liegend, die Arme am Körper entlang ausgestreckt, die Augen geschlossen, als habe er sich selbst in die richtige Stellung gebracht, um uns Arbeit zu ersparen.
    Ein Mann der Ordnung und der Pflicht, bis zum Schluss.
    Ich zögerte eine ganze Weile, bevor ich in sein Zimmer ging. Eine Leiche sehen, na besten Dank. Am Ende ging ich aber doch rein, aus Feigheit, weil ich mich nicht traute, meinem Vater nein zu sagen. Es war gut so, denn es nahm mir die Angst: Uropa sah aus, als würde er schlafen, und damit hatte es sich. Ein bisschen gelblich war er wohl, aber diesen Teint wie eine alte Zeitung hatte er schon länger.
    Der Mann vom Bestattungsinstitut fragte meine Eltern, was sie mit dem lieben Verstorbenen vorhätten, in Sachen Sarg, Blumen, Messe und all so was.
    Uropa war Freidenker, also verzichteten wir auf Weihwassergewedel. Wir ließen ihn im allerengsten Kreis einäschern. Etwas anderes wäre auch schwierig geworden: Seine Jugendfreunde waren alle längst tot, und mit dem Rest der Familie hatte er sich vorsorglich verkracht, um nur ja keine Verpflichtungen zu haben.
    Nach der Einäscherung gingen wir mit der kleinen Urne aus Kunstmarmor unterm Arm nach Hause.
    Meine Eltern überlegten, ob man seine Asche mit der von Uroma Ginou vermischen sollte, aber die Vorstellung, die beiden umzutopfen, war ihnen dann doch unheimlich.
    Uroma Ginou stand schon seit dreiundzwanzig Jahren in der Garage. Uropa Jean hatte darauf bestanden, dass sie da blieb, »damit ich sie beim Basteln anschauen kann«, wie er sagte. Er bastelte schon seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr, aber wir hatten Uroma Ginou stehenlassen, im mittleren Regalfach, zwischen ihrer alten Singer-Nähmaschine und ihrer Klatschzeitschriften-Sammlung.
    Wir hatten sie in Frieden

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