Das Leben ist ein listiger Kater. Roman
gelassen. Den hatte sie sich wohlverdient.
Mein Vater und meine Mutter berieten sich in der Küche, und als ältester Sohn wurde ich sogar auch nach meiner Meinung gefragt. Mir war das, ehrlich gesagt, ziemlich schnuppe, aber ich wusste jedes Privileg zu schätzen, das meinen Bruder rasend machte.
Sollte man Uroma Ginou ins Wohnzimmer hereinholen?
Oder Uropa zu ihr in die Garage befördern?
Tja, aber wo würden wir sie beide im Wohnzimmer hinstellen? Auf die Kommode, auf den Fernseher?
Und in der Garage, da war sowieso schon so ein Saustall.
Dann also die Urnenwand auf dem Friedhof?
»Nein, das hätte ihnen nicht gefallen«, meinte mein Vater. »Sie haben sich immer geweigert, in eine Sozialwohnung zu ziehen, da werden wir sie jetzt nicht für die Ewigkeit in einen Käfigkasten für Tote sperren.«
Ich schlug vor, die Asche zu verstreuen, aber meine Mutter fand es komisch, meine Großeltern in die Landschaft zu kippen wie den Inhalt eines Staubsaugerbeutels.
Also beschloss mein Vater, sie im Reifenbeet zu vergraben und zum Gedenken an sie etwas draufzupflanzen.
Meine Mutter und er haben eine Zypresse besorgt, die dann zwei Monate später eingegangen ist.
H ervé und Claudine waren da und haben mir ein paar Bücher mitgebracht.
Meine Nichte Aurélie und Gaël, ihr Liebster, sind mir erspart geblieben. Hervé hat mir ihr Fernbleiben so erklärt: »Tja, also … Es tut ihnen sehr leid, dass sie nicht hier sein können! Sie wären gern gekommen, aber Gaël hatte ein Seminar in Nizza, und Aurélie musste ihn begleiten.«
Hätte das Seminar in irgendeiner Pariser Vorstadt stattgefunden, wäre sie wahrscheinlich nicht so opferbereit gewesen.
Hervé fuhr rasch fort: »Léo lässt dich grüßen, ich habe gestern mit ihm gechattet.«
Ihr Sohn Léo ist immer noch in Port-au-Prince. Von ihm droht keine Gefahr, er wird sicher nicht extra zurückkommen.
Mein Bruder und meine Schwägerin reden nicht viel über Léo, den Aussteiger der Familie. Mit dreißig hat er immer noch keine
ordentliche Stellung
, das beunruhigt sie. Sie hoffen trotzdem, dass er am Ende eine
richtige Arbeit
finden wird, denn von diesem humanitären Freiwilligenkram kann man ja nicht leben.
Ich habe es aufgegeben, ihnen erklären zu wollen, dass Léo aufs Geld pfeift. Es gibt ihm etwas, Menschen in Katastrophengebieten zu helfen und wie im Märchen von den drei kleinen Schweinchen Strohhäuser zu bauen, bis der Wolf kommt. Und in den gleichen Häusern zu wohnen wie sie. Manche Leute haben eben komische Neigungen.
Dagegen sind sie sehr stolz auf ihre Tochter, und noch mehr auf deren Mann, der ihre wildesten Träume erfüllt. Man kann es ihnen nicht übelnehmen. Wenn ich Kinder gehabt hätte, würden mich ihre kläglichen Lebenswege vielleicht auch mit Stolz erfüllen.
Mein angeheirateter Neffe Gaël ist spezialisiert auf
Teambuilding
,
Teamlearning
und
Outdoor Events
. Schon allein die Begriffe deprimieren mich.
Der Junge ist ein lebendes Musterbeispiel seiner Arbeit: gut frisiert, ordentlich gekleidet, pragmatisch, effizient, bemerkenswert hohl. Er lebt in einer Parallelwelt und ist überzeugt, dass das, was er tut, wichtig ist. Ein virtuelles Universum, vollkommen unproduktiv, um das man aber angeblich nicht mehr herumkommt und dessen obskure Begriffe den Durchschnittsbürger mit den Ohren schlackern lassen: Primär- und Sekundärorganisation, Matrixprinzip, Prozessoptimierung, Zieldefinition, Schnittstellenmanagement.
Ich habe ihm absolut nichts zu sagen.
Er mir auch nicht, das trifft sich gut.
Und meine Nichte hat es, seit sie mit ihrem
Teambuilder
zusammen ist, vollends aufgegeben, selber zu denken – ohne dass sie das besondere Mühe gekostet hätte. Sie hat sich in »Gaëls Frau« verwandelt und dabei seine Art, zu denken und zu reden, hundertprozentig übernommen, ebenso wie seine Sicht auf das Leben, die Politik, schnelle Autos und teure Uhren. Sie ist perfekt und nutzlos, glatt und dekorativ geworden. Sie bilden ein elegantes Paar, von ihrem Banker geliebt, vom Schicksal gesegnet. Ihr einziger Misserfolg ist ihr Sohn Jérémy, der von Uropa Jean seine Missachtung jeglicher Hierarchien geerbt hat, von meinem Vater ein paar soziale Überzeugungen und von mir (jawohl!) die Gabe, darauf zu pfeifen, was die Leute denken. Eine gelungene Mischung. Ich mag den Jungen.
Nachdem ich die Entschuldigung angenommen und geschickt Enttäuschung simuliert habe, können wir die Klippe nicht mehr umschiffen. Da sie nun mal da sind, werden
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