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Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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wird sowieso immer haarsträubender! Heute gibt es sogar welche, die obdachlos sind. Sie studieren und sind obdachlos … Deshalb wundert mich die Kombination Student und Stricher gar nicht mehr. Sie vielleicht?«
    Nicht im Geringsten.
     
    Das Schlimmste ist niemals sicher. Dabei wird Einiges dafür getan.

I ch lande wieder bei Uropa Jean. Er füllt für sich allein mehrere Kapitel.
     
    Ich will nicht behaupten, dass ich traurig war, als er ins Gras biss. Aber er hinterließ doch eine Art Leere im Haus. Vor allem da, wo sein Sessel stand.
    Eine Leere, und auch eine Stille.
    Tatsächlich fehlte sie mir, seine Ziegenbock-Stimme, die mir den lieben langen Tag kritische Bemerkungen hinterhermeckerte. Mir das Leben zu vermiesen war Uropas Hauptbeschäftigung geworden. Ein guter Grund, morgens die Augen aufzumachen. Ein Ziel. Ja, eine Berufung.
    Vielleicht verlängerte Uropa Jean meine Kindheit. Und wahrscheinlich verlängerte ich sein Leben.
     
    Die meiste Zeit – außer, wenn er damit beschäftigt war, mich zu nerven – saß Uropa stumm da, starrte Löcher in die Luft und wackelte mit dem Kopf. Manchmal bekam er poetische Anfälle.
    Dann fing er plötzlich an, Gedichte abzusondern, mit kräftiger, beseelter Stimme, ohne im Geringsten zu stottern, und schlug dabei den Versrhythmus mit der flachen Hand auf der Armlehne mit:
    Als Kain mit seinen in Tierfelle gehüllten Kindern, mit wirrem Haar, bleich inmitten der Stürme, vor Jehova floh …
    Bla-bla-bla, bla-bla-bla, bla-bla-bla …
     
    Wir warteten, bis der Ausbruch abflaute; meine Eltern fatalistisch; ich verzagt. Ich wusste schon, wenn er mit dem Gedicht fertig wäre, würde er mich abfragen, und ich würde natürlich versagen. Ich konnte mir nicht einmal einen Dichternamen merken, und erst recht kein ganzes Gedicht. Meine Bildung war etwas dürftig, ich hielt Stendhal für einen Maler und Voltaire für einen Lehnsessel. Aber ich kam nie drum herum, am Ende seiner Tirade holte Uropa Jean Luft, dann fiel die schicksalhafte Frage: »A-halso, Pie-errot? Von we-hem ist es?«
    Ich bewies Kühnheit: »Maurice Carême?«
    Den kannte ich aus der Schule, im Gegensatz zu Victor Hugo.
    Er verdrehte die Augen, lachte höhnisch. Ich hasste ihn dafür.
    Ich hätte dem senilen alten Knacker mit etwas echter Dichtung das Maul stopfen können:
    Souvenirs, Souvenirs
    In meinem Herzen find’ich euch wieder
    Und schon erblühen
    all meine Träume vom Glück.
    Wenn ich ihn dann gefragt hätte: Von wem ist das?, dann hätte er nicht mit seiner Bildung angeben können. Johnny Hallyday kannte er nämlich nicht.
     
    Ich habe lange gedacht, dass er mich hasste. Das war ein Irrtum, wie mein Vater mir Jahre später sagte. Uropa hatte mich gern. Er fand, ich hätte
Charakter
. Aber er gehörte zu den Leuten, die sich lieber die Zunge abbeißen würden, als ein freundliches Wort zu sagen oder ein Kompliment zu machen.
    Mein Vater versuchte das auf die Generation zu schieben, aus der er stammte.
    »Früher war das eben so, was soll ich dir sagen? Die Leute waren zurückhaltend, da kraulte man sich nicht den ganzen Tag den Rücken oder küsste sich ab.«
    Von wegen.
    Uropa war einfach ein Griesgram, ein alter Nörgler. Ich muss wohl seine Gene geerbt haben.
    Ich bin genau wie er, mein Herz leidet an Verstopfung.

Z ehn Uhr morgens. Die Nervensäge ist wieder da.
    Inzwischen ist sie zu einer täglichen Plage geworden: Sie steckt zu verschiedensten Uhrzeiten den Kopf durch die Tür und watschelt bis zu meinem Stuhl wie ein übergewichtiges Entenküken.
    Wenn sie erst mal hingeplumpst ist – denn sie setzt sich nicht, sie lässt sich fallen –, kaut sie mit weit offenem Mund auf ihrem Kaugummi herum, sodass ich in Bild und Ton daran teilhaben darf.
    Ich verhalte mich ihr gegenüber so kühl und distanziert wie möglich, und ich glaube nicht zu prahlen, wenn ich sage, dass meine Möglichkeiten in diesem Bereich fast unbegrenzt sind.
    Aber die ägyptische Plage macht sich nichts daraus.
    Schlimmer noch, ich glaube, sie mag mich.
     
    Meistens bleibt sie an meinem Bett sitzen, unerschütterlich wie ein Klotz, und wartet, bis ich ihr den Computer gebe. Unmöglich, sie zu vergessen oder so zu tun, als wäre sie nicht da.
     
    Wenn Myriam im Flur vorbeigeht, winkt sie uns zu.
    Gestern hat sie gemeint: »Lustig, wie die Kleine Ihnen Gesellschaft leistet. Sieht so aus, als würde sie an Ihnen hängen, nicht?«
     
    Sie hängt an mir wie eine Klette oder ein Blutegel.
    Stachelig und mit

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