Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
Vom Netzwerk:
Es scheint für sie außer Frage zu stehen, dass sie überall zu Hause ist, vor allem in meinem Zimmer.
    Ich war gerade dabei, langsam vor dem Fenster hin und her zu wandern, mit ängstlichen, zittrigen kleinen Schritten, den einen Arm auf den dreifüßigen Gehstock gestützt, den anderen auf den Physiotherapeuten.
    Sie schaute eine Weile zu. Dann nickte sie und meinte: »Cool.«
    Durch dieses knappe Kompliment gestärkt, hätte ich gern den Daumen hochgestreckt zum Zeichen des Sieges, aber dazu hätte ich meinen Stock loslassen müssen, das erschien mir verfrüht.
    Seitdem habe ich Fortschritte gemacht.
    Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass ich mit großen Schritten vorankomme, aber ich spüre, wie ich meinen schmerzenden Körper wieder in Besitz nehme, und hoffe, dass er bald wieder ganz selbstständig sein wird.
     
    Zu den wiedergefundenen kleinen Freuden gehört, dass ich jetzt allein aufs Klo gehen kann.
    Das klingt lächerlich, ich weiß, aber an solch nichtigen Dingen kann ich jetzt ermessen, wie winzig der Abstand zwischen einem normalen Leben und einem Leben in der Scheiße ist – ohne jede Wortspielerei.

M axime hüstelt.
    »Äh … ich wollte Ihnen sagen …«
    Er bricht ab. Ulkig, wie die Leute oft verstummen, sobald sie angekündigt haben, dass sie etwas zu sagen haben.
    »Ich höre, junger Freund.«
    Er sucht offensichtlich nach dem richtigen Einstieg.
    »Äh … ja, also … ich meine …«
    »Ja?«
    »Sie fragen sich bestimmt, warum ich Sie besuchen komme …«
    »Nun ja … Vielleicht ist es mein ansteckender Frohsinn, die sprudelnde Lebendigkeit meines Wesens, die Geschmeidigkeit und Anmut all meiner Bewegungen?«
    Er muss lachen.
    »Äh … nein.«
    »Nein? Dann bin ich ratlos, muss ich zugeben.«
    Er lächelt leicht, wird dann auf einmal ernst und schaut mich an mit einem Blick, als wäre er ein kleiner Junge, den man gerade grundlos bestraft hat.
    »Sie sehen meinem Vater ähnlich.«
    Auweia!
    Ich warte auf die Fortsetzung.
    »Ich meine, Sie sahen ihm wirklich sehr ähnlich, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe.«
    »Als ich auf der Intensivstation lag?«
    Ich mache aus meiner Überraschung keinen Hehl.
    »Ja … ja, genau. Ich meine, ich weiß nicht genau, wie ich Ihnen das sagen soll, aber als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe …«
    Er holt tief Luft.
    »… da sahen Sie aus wie mein Vater, als ich ihn zum
letzten
Mal gesehen habe.«
    Das finde ich jetzt nicht so toll, muss ich sagen, aber ich sollte wohl erst mal die Klappe halten.
    Er fährt fort: »Das war am Anfang der Hauptgrund, warum ich Sie weiter besucht habe. Denn die Ermittlungen, wegen eines bloßen Verkehrsunfalls … Pfff.«
    »Was? Dann ist mein Fall also nicht mal spannend?«
    Darauf antwortet er nicht. Er stützt sich mit beiden Unterarmen auf das Fußteil des Betts, beugt sich zu mir vor und legt los. Ich werde immerhin damit angeben können, dass ich einen Polypen zum Reden gebracht habe.
    Sein Vater ist an einem Herzschlag gestorben, genau hier, vor vier Jahren. Maxime hat spät am Tag davon erfahren, er war irgendwo unterwegs und ermittelte. Als er in der Nacht im Krankenhaus ankam, lag sein Vater im Koma. Er hat ihn nicht mehr bei Bewusstsein wiedergesehen.
    »Als ich Sie auf der Intensivstation gesehen habe, hat mir das einen Schock versetzt, weil Sie ihm sowieso schon ziemlich ähnlich sehen, rein äußerlich. Und dann noch mit der Sauerstoffmaske und dem ganzen Kram …«
    Ich nicke. Ein Déjà-vu direkt aus der Hölle. Ich verstehe jetzt den Blick besser, mit dem er mich angeschaut hat, als ich aufgewacht bin. Seine besorgte, verstörte Miene.
    Er wiederholt: »Das war am Anfang der Hauptgrund, warum ich wiedergekommen bin. Verstehen Sie?«
    »Um
mich
zu sehen, statt
ihn
wiederzusehen. Um dieses letzte Bild Ihres Vaters durch meines zu ersetzen, das eines x-beliebigen alten Knackers.«
    »Ja, so in etwa, glaube ich. Finden Sie das seltsam?«
    »Was ich seltsam finde, ist, dass Sie mir nicht sofort widersprechen, wenn ich mich selbst als alten Knacker bezeichne.«
    Er muss laut lachen.
    Wäre der Kerl ein bisschen weniger jung, wären wir längst alte Freunde.

I ch habe meinen Vater nicht sterben sehen.
    Ich habe meine Mutter nicht sterben sehen.
    Bei Annie war ich nicht da.
     
    Was kann man dem noch hinzufügen?

I ch bin kein besinnlicher Typ. Ich hasse es, nichts zu tun. So war ich schon immer.
    Ich habe das Bedürfnis, mich zu bewegen, alle Minuten und Stunden bis oben hin

Weitere Kostenlose Bücher